Erklärung der Außenminister liest sich wie Gründungsdokument für den dritten Weltkrieg

Erklärung der Außenminister liest sich wie Gründungsdokument für den dritten Weltkrieg

Erklärung der Außenminister liest sich wie Gründungsdokument für den dritten Weltkrieg

Ein Artikel von Marcus Klöckner

Es wirkt wie ein „Gründungsdokument“ für den dritten Weltkrieg: Die gemeinsame Erklärung der Außenminister Deutschlands, Frankreichs, Polens, Italiens und Spaniens zu den „sicherheitspolitischen Herausforderungen Europas“ hinterlässt Entsetzen. Die ohnehin seit Langem aufgehende Saat der Konfrontation zwischen Russland und NATO wird noch weiter gedüngt. Ein zeithistorisches Dokument liegt vor, das in seiner diplomatischen Ignoranz, seiner inhaltlichen Einfältigkeit und seiner politischen Unverantwortlichkeit zum Abbild einer Politik geworden ist, die in den Abgrund des Kriegs führt. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Da waren sie zusammengekommen, die Außenminister zentraler europäischer Länder. Sie redeten über die Ukraine, Russland, den Krieg oder, wie es in ihrer gemeinsamen Abschlusserklärung heißt: über „die sicherheitspolitischen Herausforderungen Europas“. Wenn auf diese Weise formuliert wird, lässt sich erahnen, in welche Richtung der politische Zug fahren soll. In der gesamten Erklärung kommt der Begriff „Verhandlungen“ insgesamt null Mal vor. Das ist in Anbetracht der gegenwärtigen Situation, die mit der Kuba-Krise vergleichbar ist, eine politische Bankrotterklärung – und eine diplomatische ohnehin.

Dem Leser der Erklärung wird schnell klar: Die Ergebnisse aus dem Treffen der Außenminister werden nicht zu einem Hoffnungsschimmer für den Frieden. Im Gegenteil, nach beinahe drei Jahren Krieg, Hunderttausenden von Toten, Verstümmelten und Traumatisierten soll die Politik der harten Hand gegenüber Russland fortgeführt werden. Die fatale Richtung – sie bleibt eingeschlagen.

Gleich zu Beginn der Erklärung heißt es: „Russland attackiert systematisch die europäische Sicherheitsarchitektur.“

So steht sie da, diese Aussage – geprägt und durchtränkt von einer kaum zu ertragenden Ignoranz. Im besten Fall beruht Derartiges auf schierer Unwissenheit. Doch eine solche Unwissenheit wäre in Anbetracht der Erwartungen, die an Außenminister gesteckt werden dürfen, unfassbar – von weiteren in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten für die Ignoranz ganz zu schweigen.

Wer hat, so möchte man fragen, die europäische Sicherheitsarchitektur „attackiert“? Wie war das nochmal mit dem „Euro-Maidan“, mit den Scharfschützen und: Seit wann hat die CIA in der Ukraine agiert? Wie sah der Einfluss westlicher Tiefenpolitik in der Ukraine seit 2014 aus?

Es ist ermüdend, auf das immer und immer wieder Durchgekaute einzugehen. Und wer bisher noch nicht begriffen hat, dass der Kampf um die Ukraine ein Kampf zwischen Russland und der NATO auf Ebene der Geostrategie ist, wird es ohnehin nicht mehr begreifen. Doch die Einseitigkeit, mit der Politik, Medien und Expertentum hierzulande den Krieg erfassen, ist atemberaubend. Und diese Einseitigkeit trieft aus allen Poren der Erklärung der Außenminister.

„In den vergangenen 1.000 Tagen“, so heißt es weiter, „hat Russland in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine Abertausende Menschen getötet und immer wieder das Völkerrecht gebrochen.“ Die Außenminister reden von „Russlands ruchlosem Revisionismus“ und einer „beharrlichen Weigerung, die Aggression zu beenden“.

Wie soll auf diese Worte Diplomatie bauen? Ja, diese Worte, überhaupt: Die gesamte Erklärung wirkt so, als ginge es gerade darum, nicht auf Diplomatie zu bauen; als ginge es darum, die Ecksteine der Diplomatie noch weiter zu zerschlagen.

Dass Russland die Ukraine angegriffen hat, ist unbesstritten. Das zu kritisieren und auch zu verurteilen versteht sich von selbst.

Allerdings: Was bringen an der Stelle, an der sich der Konflikt mittlerweile befindet, diese immer und immer und immer wieder vorgetragenen Anschuldigungen gegen Russland? Wenn deutsche Journalisten, Politiker und „Experten“ immer wieder von einem „Angriffskrieg“ sprechen, fragt man sich, warum bei US-Kriegen nicht ebenso von Angriffskriegen gesprochen wurde. Die Einseitigkeit, die Stimmungsmache, die Propaganda: Sie kommen zum Vorschein.

Jeder, der auch nur einen Hauch von Diplomatie und von Konfliktlösung beherzigt, versteht: Dem Gegner Anschuldigungen direkt ins Gesicht zu schlagen, trägt selten zu einer Entspannung bei – ob auf zwischenmenschlicher Ebene, in der Geschäftswelt und insbesondere auf Ebene der Politik: Wer ein Interesse an der Beendigung von Konflikten hat, muss – auch wenn das mitunter bitter ist – „gesichtswahrend“ vorgehen. Er muss dem Gegner eine Tür offen lassen, er muss ihm immer noch eine gewisse Achtung zollen – im Sinne des Ziels. Persönliche Befindlichkeiten und der moralische Zeigefinger sind etwas für den Sandkasten und nicht für eine Situation, in der ein dritter Weltkrieg der Realität nahe ist.

Doch in der gesamten Erklärung lassen die Außenminister keine Tür offen, sie bieten keine gesichtswahrende Optionen an. Was folgt, ist ein diplomatischer Albtraum:

„Um dieser historischen Herausforderung gerecht zu werden, sind wir entschlossen, in Bezug auf die europäische Sicherheit im Schulterschluss mit unseren europäischen und transatlantischen Partnern in großen Maßstäben zu denken und zu handeln“, ist in der Erklärung zu lesen.

Für „unabdingbar“ halten die Außenminister und die Länder, für die sie stehen,

  • „erneut die beständige Rolle einer starken und geeinten NATO als Grundpfeiler der europäischen Verteidigung und Sicherheit zu bekräftigen“,
  • „die NATO zu stärken, indem wir unsere Ausgaben für Sicherheit und Verteidigung entsprechend unseren bisherigen Zusagen erhöhen, wobei wir erneut bekräftigen, dass in vielen Fällen höhere Ausgaben als 2 % des BIP nötig sein werden, um den wachsenden Sicherheitsbedrohungen zu begegnen“,
  • „Europas Sicherheit und Verteidigung unter Nutzung aller uns zur Verfügung stehenden Mittel zu stärken, (…), auch durch (…) die Ertüchtigung der europäischen Industriebasis (…)
  • in unsere kritischen militärischen Fähigkeiten, darunter Flugabwehr, weitreichende Präzisionswaffen (…) zu investieren und neue Technologien zu nutzen“ (…) die Widerstandsfähigkeit unserer Gesellschaften zu fördern“, „unsere militärische, wirtschaftliche und finanzielle Unterstützung der Ukraine weiter zu steigern“.

Die Außenminister wollen außerdem Russland weiterhin abschrecken und „Putins Fähigkeit zur Fortführung seines Angriffskriegs (…) untergraben“. Darüber hinaus wollen Deutschland und die anderen Staaten „Russlands Aufbau militärischer Fähigkeiten (…) beschränken, auch durch restriktive Maßnahmen“.

Eine derartig ausgerichtete Politik hat sich von der Diplomatie verabschiedet. Die Erklärung lässt sich geradezu wie ein Gründungsdokument für den dritten Weltkrieg verstehen.

Titelbild: Alexandros Michailidis/shutterstock.com

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