Eine neue Außenpolitik für Europa (2/2)

Eine neue Außenpolitik für Europa (2/2)

Eine neue Außenpolitik für Europa (2/2)

Ein Artikel von Jeffrey Sachs

In diesem umfangreichen Essay entwirft Jeffrey Sachs die Grundzüge für eine neue, friedliche und nachhaltige Außenpolitik für die EU. Im ersten Teil analysierte und korrigierte er zunächst die irrigen Prämissen, die dem gegenwärtigen Kurs zugrunde liegen. Im diesem zweiten Teil zeigt er die hohen Kosten dieser verfehlten Politik auf und legt konkrete Vorschläge für eine umsetzbare Neuausrichtung vor. Von Jeffrey D. Sachs, aus dem Englischen übersetzt von Klaus-Dieter Kolenda.

Vorbemerkung

Jeffrey Sachs[1] ist ein herausragender Wirtschaftswissenschaftler der Columbia-Universität in New York und seit Jahrzehnten ein weltweit tätiger UN-Diplomat. Er kritisiert seit vielen Jahren grundsätzlich die US-amerikanische Außenpolitik und setzt sich in vielen Ländern für eine nachhaltige und friedliche Entwicklung ein. Der vorliegende umfangreiche und aktuelle Essay von Sachs[2] beschäftigt sich vor allem mit der gescheiterten europäischen Außenpolitik in Bezug auf den Ukraine-Krieg. Damit ist die Außenpolitik der EU gemeint. Diese zeichnet sich durch eine vasallenartige Unterwürfigkeit gegenüber den USA und eine unnötige, aber gefährliche Feindschaft gegenüber Russland aus. Stattdessen sollte sie die richtigen Lehren aus der Geschichte ziehen und die Möglichkeiten der Diplomatie nutzen, um Frieden und nationale Interessen der EU-Staaten zu fördern. Die Übertragung ins Deutsche erfolgte von Klaus-Dieter Kolenda mit freundlicher Genehmigung von Sonia Sachs. Dabei wurden vom Übersetzer einige Zwischenüberschriften ergänzt und einige Passagen durch Fettdruck hervorgehoben.

Teil 2: Die hohen Kosten einer verfehlten Außenpolitik

Russland hat bisher keine territorialen Ansprüche gegen westeuropäische Länder erhoben, noch hat Russland Westeuropa bedroht, abgesehen von dem Recht, Vergeltung für vom Westen unterstützte Raketenangriffe innerhalb Russlands zu üben.

Bis zum Putsch auf dem Maidan 2014 hatte Russland auch keine Gebietsansprüche gegenüber der Ukraine gestellt. Nach dem Putsch von 2014 und bis Ende 2022 war Russlands einzige territoriale Forderung die Krim, um zu verhindern, dass der russische Marinestützpunkt in Sewastopol in westliche Hände fällt.

Erst nach dem Scheitern des Friedensprozesses in Istanbul – der von den Vereinigten Staaten torpediert wurde – hat Russland die Annexion der vier ukrainischen Oblaste (Donezk, Lugansk, Cherson und Saporischschja) beansprucht. Russlands erklärte territoriale Kriegsziele sind bis heute begrenzt. Darüber hinaus fordert Russland die Neutralität der Ukraine und deren teilweise Entmilitarisierung, die dauerhafte Nicht-NATO-Mitgliedschaft und die Übergabe der Krim und der vier Oblaste an Russland, die 1991 etwa 19 Prozent des ukrainischen Territoriums ausmachten.

Das ist kein Beweis für einen russischen Imperialismus nach Westen. Es sind auch keine unprovozierten Forderungen. Russlands Kriegsziele folgen auf mehr als 30 Jahre russischer Einwände gegen die Osterweiterung der NATO, die Aufrüstung der Ukraine, die Aufgabe des amerikanischen Rahmenwerks für Atomwaffen und die tiefgreifende Einmischung des Westens in die Innenpolitik der Ukraine, einschließlich der Unterstützung eines gewaltsamen Putsches im Jahr 2014, der die NATO und Russland auf direkten Konfrontationskurs brachte.

Europa hat sich dafür entschieden, die Ereignisse der letzten 30 Jahre als Beleg für Russlands unerbittlichen und unverbesserlichen Expansionismus nach Westen anzusehen – so wie der Westen darauf bestand, dass die Sowjetunion allein für den Kalten Krieg verantwortlich gewesen ist, während die Sowjetunion in Wirklichkeit durch die Neutralität, Vereinigung und Entwaffnung Deutschlands immer wieder einen Weg zum Frieden gewiesen hat.

Wie schon während des Kalten Krieges hat sich der Westen dafür entschieden, Russland zu provozieren, anstatt die völlig verständlichen Sicherheitsbedenken Russlands anzuerkennen.

Jede der russischen Aktionen wurde als Zeichen maximaler russischer Perfidie interpretiert, ohne die russische Seite der Debatte anzuerkennen. Dies ist ein anschauliches Beispiel für das klassische Sicherheitsdilemma, in dem die Beteiligten völlig aneinander vorbeireden, das Schlimmste gegenseitig annehmen und aggressiv auf ihre fehlerhaften Annahmen reagieren.

Die Entscheidung Europas, den Kalten Krieg und die Zeit nach dem Kalten Krieg aus dieser stark voreingenommenen Perspektive zu interpretieren, ist Europa enorm teuer zu stehen gekommen, und die Kosten werden weiter steigen. Vor allem aber betrachtet sich Europa in Bezug auf seine Sicherheit als völlig abhängig von den Vereinigten Staaten.

Wenn Russland tatsächlich unverbesserlich expansionistisch wäre, dann wären die Vereinigten Staaten wirklich Europas notwendiger Retter. Wenn das Verhalten Russlands im Gegensatz dazu jedoch tatsächlich seine eigenen Sicherheitsbedenken widerspiegeln würde, dann hätte der Kalte Krieg nach dem österreichischen Neutralitätsmodell höchstwahrscheinlich schon Jahrzehnte früher enden können, und die Zeit nach dem Kalten Krieg hätte eine Zeit des Friedens und des wachsenden Vertrauens zwischen Russland und Europa gewesen sein können.

Denn Europa und Russland ergänzen sich als Volkswirtschaften, wobei Russland reich an Primärrohstoffen (Landwirtschaft, Mineralien, Kohlenwasserstoffe) und Maschinenbau ist, während Europa die Heimat energieintensiver Industrien und wichtiger Hochtechnologien ist. Die Vereinigten Staaten haben sich lange gegen die wachsenden Handelsbeziehungen zwischen Europa und Russland ausgesprochen, die sich aus dieser natürlichen Komplementarität ergaben, und betrachten die russische Energieindustrie als Konkurrenz zum US-Energiesektor und generell die engen deutsch-russischen Handels- und Investitionsbeziehungen als Bedrohung für die politische und wirtschaftliche Vorherrschaft Amerikas in Westeuropa.

Aus diesen Gründen haben sich die Vereinigten Staaten schon lange vor dem Konflikt um die Ukraine gegen die Pipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 ausgesprochen. Deshalb hat Joe Biden ausdrücklich versprochen, Nord Stream 2 – wie es geschehen ist – im Falle einer russischen Invasion in der Ukraine zu beenden. Der Widerstand der USA gegen Nord Stream und gegen die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen beruht auf allgemeinen Prinzipien: Die EU und Russland sollten auf Distanz gehalten werden, damit die Vereinigten Staaten nicht ihren Einfluss in Europa verlieren.

Der Ukraine-Krieg und der Bruch Europas mit Russland haben der europäischen Wirtschaft großen Schaden zugefügt. Die europäischen Exporte nach Russland sind von rund 90 Milliarden Euro im Jahr 2021 auf nur noch 30 Milliarden Euro im Jahr 2024 gesunken. Die Energiekosten sind in die Höhe geschnellt, da Europa von billigem russischen Pipeline-Erdgas auf US-Flüssigerdgas umgestiegen ist, das um ein Vielfaches teurer ist. Deutschlands Industrie ist seit 2020 um rund zehn Prozent geschrumpft, und sowohl die deutsche Chemiebranche als auch die Automobilbranche sind angeschlagen. Der IWF[20] prognostizierte für die EU ein Wirtschaftswachstum von nur ein Prozent im Jahr 2025 und rund 1,5 Prozent für den Rest des Jahrzehnts.

Bundeskanzler Friedrich Merz hat ein dauerhaftes Verbot der Wiederaufnahme der Nord-Stream-Gasflüsse gefordert, aber das ist fast ein wirtschaftlicher Selbstmordpakt für Deutschland. Er basiert auf Merz’ Ansicht, dass Russland einen Krieg mit Deutschland anstrebt, aber Tatsache ist, dass Deutschland einen Krieg mit Russland provoziert, indem es Kriegstreiberei und eine massive militärische Aufrüstung betreibt.

Merz zufolge „ist eine realistische Sicht auf Russlands imperialistische Bestrebungen erforderlich“. Er stellt fest, dass „ein Teil unserer Gesellschaft eine tief verwurzelte Angst vor Krieg hat. Ich teile diese Ansicht nicht, aber ich kann es verstehen.”

Am alarmierendsten ist, dass Merz erklärt hat, dass „die Mittel der Diplomatie erschöpft sind“, obwohl er offenbar seit seinem Amtsantritt nicht einmal versucht hat, mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu sprechen. Darüber hinaus scheint er absichtlich blind für den Beinahe-Erfolg der Diplomatie im Jahr 2022 im Istanbul-Prozess zu sein – das heißt, bevor die Vereinigten Staaten der Diplomatie ein Ende setzten.

Die westliche Herangehensweise an China ist ein Spiegelbild des Umgangs mit Russland. Der Westen unterstellt China oft schändliche Absichten, die in vielerlei Hinsicht Projektionen seiner eigenen feindseligen Absichten gegenüber der Volksrepublik sind.

Chinas rasanter Aufstieg zur wirtschaftlichen Vormachtstellung in den Jahren 1980 bis 2010 veranlasste amerikanische Führer und Strategen, Chinas weiteren wirtschaftlichen Aufstieg als gegensätzlich zu den US-Interessen zu betrachten. Im Jahr 2015 erklärten die US-Strategen Robert Blackwill und Ashley Tellis[21] klar, dass das wichtigste strategische Ziel der USA die Aufrechterhaltung der amerikanischen Hegemonie sei und dass China aufgrund seiner Größe und seines Erfolgs eine Bedrohung für US-Hegemonie darstelle.

Blackwill und Tellis befürworteten eine Reihe von Maßnahmen der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten, um Chinas zukünftigen wirtschaftlichen Erfolg zu behindern, wie z.B. den Ausschluss Chinas aus neuen Handelsblöcken im asiatisch-pazifischen Raum, die Beschränkung des Exports westlicher Hochtechnologiegüter nach China, die Verhängung von Zöllen und anderen Beschränkungen für Chinas Exporte und andere antichinesische Maßnahmen. Es ist zu beachten, dass diese Maßnahmen nicht wegen spezifischen Unrechts empfohlen wurden, das China begangen hätte, sondern weil Chinas anhaltendes Wirtschaftswachstum nach Ansicht der Autoren dem amerikanischen Primat zuwiderlaufe.

Teil der Außenpolitik sowohl gegenüber Russland als auch gegenüber China ist ein Medienkrieg, um diese angeblichen Feinde des Westens zu diskreditieren. Im Falle Chinas hat der Westen es so dargestellt, als begehe China einen Völkermord in der Provinz Xinjiang an der uigurischen Bevölkerung. Diese absurde und aufgebauschte Anschuldigung wurde ohne jeden ernsthaften Versuch, Beweise zu finden[22], erhoben, während der Westen im Allgemeinen die Augen vor dem tatsächlich anhaltenden Völkermord an Zehntausenden von Palästinensern in Gaza durch seinen Verbündeten Israel verschließt.

Darüber hinaus enthält die westliche Propaganda eine Vielzahl absurder Behauptungen über die chinesische Wirtschaft. Chinas äußerst wertvolle „Belt and Road“-Initiative, die Entwicklungsländern Finanzmittel für den Aufbau moderner Infrastruktur zur Verfügung stellt, wird als „Schuldenfalle“ verspottet. Chinas bemerkenswerte Fähigkeit, grüne Technologien wie Solarmodule zu produzieren, die die Welt dringend benötigt, wird vom Westen als „Überkapazität“ verhöhnt, die abgebaut oder abgeschaltet werden sollte.

Auf der militärischen Seite wird ein Sicherheitsdilemma gegenüber China auf die bedrohlichste Weise betrieben, genau wie im Falle Russlands. Die Vereinigten Staaten haben seit langer Zeit ihre Fähigkeit gerühmt, Chinas lebenswichtige Seewege zu stören, bezeichnen China dann aber als militaristisch, wenn die Chinesen als Reaktion darauf Schritte unternehmen, um ihre eigenen Marinekapazitäten auszubauen.

Anstatt Chinas militärische Aufrüstung als klassisches Sicherheitsdilemma zu betrachten, das durch Diplomatie gelöst werden sollte, erklärt die US-Marine, dass sie sich auf einen Krieg mit China bis 2027 vorbereiten sollte. Die NATO ruft zunehmend zu einem aktiven Engagement in Ostasien auf, das sich gegen China richtet. Die europäischen Verbündeten der Vereinigten Staaten stimmen im Allgemeinen mit der aggressiven amerikanischen Haltung gegenüber China überein, sowohl in Bezug auf den Handel als auch auf die Militärpolitik.

Eine neue Außenpolitik für Europa

Die EU hat sich selbst in eine Ecke gedrängt und sich den Vereinigten Staaten unterworfen. Sie hat sich der direkten Diplomatie mit Russland widersetzt, ihren wirtschaftlichen Vorsprung durch Sanktionen und Kriege verloren, sich zu massiven und unbezahlbaren Erhöhungen der Militärausgaben verpflichtet und die langfristigen Handels- und Investitionsbeziehungen sowohl mit Russland als auch mit China abgebrochen.

Die Folge sind steigende Schulden, wirtschaftliche Stagnation und ein wachsendes Risiko eines großen Krieges, das Merz offenbar nicht erschreckt, aber den Rest von uns in Angst und Schrecken versetzen sollte. Vielleicht ist ein Krieg nicht mit Russland, sondern mit den Vereinigten Staaten am wahrscheinlichsten, die unter Trump damit drohen, Grönland zu erobern, wenn Dänemark Grönland nicht einfach verkaufen oder unter Washingtons Souveränität stellen würde.

Es ist gut möglich, dass Europa dann ohne wirkliche Freunde dastehen wird: weder Russland noch China, aber auch nicht die Vereinigten Staaten, die arabischen Staaten (die verärgert sind über Europas blinde Augen gegenüber Israels Völkermord), Afrika (das immer noch unter dem europäischen Kolonialismus und Postkolonialismus leidet) und Regionen darüber hinaus.

Es gibt natürlich einen anderen Weg – in der Tat einen sehr vielversprechenden, wenn europäische Politiker die wahren Sicherheitsinteressen und -risiken Europas neu bewerten und die Diplomatie wieder in den Mittelpunkt der europäischen Außenpolitik rücken.

Ich schlage zehn praktische Schritte vor, um zu einer Außenpolitik zu gelangen, die die wahren Bedürfnisse Europas widerspiegelt.

Direkte diplomatische Kontakte mit Moskau

Erstens: Eröffnen Sie wieder direkte diplomatische Kontakte mit Moskau. Das offensichtliche Versagen Europas, direkte Diplomatie mit Russland zu betreiben, ist verheerend. Europa glaubt vielleicht sogar seiner eigenen außenpolitischen Propaganda, weil es versäumt hat, die zentralen Fragen direkt mit seinem russischen Pendant zu besprechen.

Verhandlungsfrieden mit Russland in der Ukraine auf dem Boden einer kollektiven europäischen Sicherheit

Zweitens: Bereiten Sie einen Verhandlungsfrieden mit Russland in Bezug auf die Ukraine und die Zukunft der europäischen kollektiven Sicherheit vor. Am wichtigsten ist, dass Europa sich mit Russland darauf einigt, dass der Krieg auf der Grundlage einer festen und unwiderruflichen Verpflichtung beendet werden soll, dass sich die NATO nicht auf die Ukraine, Georgien oder andere Ziele im Osten ausdehnen wird. Darüber hinaus sollte Europa einige pragmatische territoriale Veränderungen in der Ukraine zu Gunsten Russlands akzeptieren.

Ablehnung einer Militarisierung der Beziehungen mit China und der US-Hegemonieansprüche in Ostasien

Drittens sollte Europa die Militarisierung seiner Beziehungen zu China ablehnen, indem es beispielsweise jede Rolle der NATO in Ostasien ausschließt. China stellt absolut keine Bedrohung für die Sicherheit Europas dar, und Europa sollte aufhören, die amerikanischen Hegemonieansprüche in Asien blind zu unterstützen, die auch ohne Europas Unterstützung gefährlich und wahnhaft genug sind. Im Gegenteil, Europa sollte seine Handels-, Investitions- und Klimakooperation mit China stärken.

Für eine vernünftige Diplomatie der EU-Institutionen

Viertens sollte sich Europa für eine vernünftige institutionelle Form der Diplomatie entscheiden. Der aktuelle Modus ist nicht funktionsfähig. Der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik dient hauptsächlich als Sprachrohr für Russophobie, während die eigentliche Diplomatie auf hoher Ebene – soweit es sie gibt – verwirrend und abwechselnd von einzelnen europäischen Staats- und Regierungschefs, dem Hohen Vertreter der EU, dem Präsidenten der Europäischen Kommission, dem Präsidenten des Europäischen Rates oder einer anderen Kombination der oben genannten Institutionen geleitet wird. Kurz gesagt, niemand spricht klar für Europa, da es überhaupt keine klare EU-Außenpolitik gibt.

EU-Außenpolitik und europäische Verteidigung sollten von der NATO entkoppelt werden

Fünftens sollte Europa anerkennen, dass die EU-Außenpolitik von der NATO entkoppelt werden muss. Tatsächlich braucht Europa die NATO nicht, da Russland nicht im Begriff ist, in die EU einzumarschieren.

Europa sollte in der Tat seine eigenen militärischen Kapazitäten unabhängig von den Vereinigten Staaten aufbauen, aber zu weit niedrigeren Kosten als fünf Prozent des BIP, was ein absurdes numerisches Ziel ist, das auf der völlig übertriebenen Einschätzung der russischen Bedrohung basiert. Darüber hinaus sollte die europäische Verteidigung nicht dasselbe sein wie die europäische Außenpolitik, auch wenn beide in der jüngsten Vergangenheit völlig miteinander verwechselt wurden.

Zusammenarbeit der EU bei der grünen, digitalen und verkehrstechnischen Modernisierung mit Russland, Indien und China

Sechstens sollten die EU, Russland, Indien und China bei der grünen, digitalen und verkehrstechnischen Modernisierung des eurasischen Raums zusammenarbeiten. Die nachhaltige Entwicklung Eurasiens ist eine Win-win-win-win-Situation für die EU, Russland, Indien und China und kann nur durch eine friedliche Zusammenarbeit zwischen den vier eurasischen Großmächten erfolgen.

Gemeinsame Finanzierung der Infrastruktur in Nicht-EU-Ländern

Siebtens sollte Europas Global Gateway, der Finanzierungsarm für Infrastruktur in Nicht-EU-Ländern, mit Chinas „Belt and Road”-Initiative zusammenarbeiten. Derzeit wird Global Gateway als Konkurrent zur BRI gehandelt. Tatsächlich sollten beide ihre Kräfte bündeln, um die grüne Energie-, Digital- und Verkehrsinfrastruktur für Eurasien gemeinsam zu finanzieren.

EU sollte die Finanzierung des europäischen Grünen Deals (EGD) verstärken

Achtens: Die Europäische Union sollte ihre Finanzierung des EGD verstärken und den Übergang Europas zu einer kohlenstoffarmen Zukunft beschleunigen, anstatt fünf Prozent des BIP für militärische Ausgaben zu verschwenden, was für Europa weder notwendig noch nützlich ist.

Höhere Ausgaben für den EGD haben zwei Vorteile: Sie werden regionale und globale Vorteile für die Klimasicherheit bringen und die Wettbewerbsfähigkeit Europas im Hinblick auf die grünen und digitalen Technologien der Zukunft stärken und damit ein neues, tragfähiges Wachstumsmodell für Europa schaffen.

Enge Zusammenarbeit mit der Afrikanischen Union (AU) bei Bildung und Qualifizierung

Neuntens: Die EU sollte sich mit der AU für eine massive Ausweitung der Bildung und des Kompetenzaufbaus durch die AU-Mitgliedstaaten einsetzen. Mit einer Bevölkerung von 1,4 Milliarden, die bis zur Mitte des Jahrhunderts auf rund 2,5 Milliarden ansteigen wird, verglichen mit der Bevölkerung der EU von rund 450 Millionen, wird die wirtschaftliche Zukunft Afrikas diejenige Europas tiefgreifend beeinflussen. Die beste Hoffnung für afrikanischen Wohlstand ist der rasche Aufbau von höherer Bildung und Qualifizierung.

Basis der künftigen Weltordnung nicht Hegemonie der USA, sondern Rechtsstaatlichkeit im Rahmen der UN-Charta

Zehntens: Die EU und die BRICS-Staaten sollten den Vereinigten Staaten klar und deutlich sagen, dass die künftige Weltordnung nicht auf Hegemonie, sondern auf Rechtsstaatlichkeit im Rahmen der UN-Charta basieren sollte.

Das ist der einzige Weg zu wahrer Sicherheit in Europa und in der Welt. Die Abhängigkeit von den USA und der NATO ist eine grausame Illusion, insbesondere angesichts der Instabilität der Vereinigten Staaten selbst. Im Gegensatz dazu könnten durch die Stärkung der UN-Charta Kriege beendet (z.B. durch die Beendigung der Straflosigkeit Israels und die Durchsetzung von IGH-Urteilen für die Zweistaatenlösung) und zukünftige Konflikte könnten verhindert werden.

Der Übersetzer: Klaus-Dieter Kolenda, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin – Gastroenterologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin/Sozialmedizin, war von 1985 bis 2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, der Atemwege, des Stoffwechsels und der Bewegungsorgane. Seit 1978 ist er als medizinischer Sachverständiger bei der Sozialgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein tätig. Zudem arbeitet er in der Kieler Gruppe der IPPNW e.V. (Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung) mit.

Titelbild: Alexandros Michailidis, Focus Pix / Shutterstock