Am 28. Juli hatten Kanzler Friedrich Merz und dessen Vizesprecher Sebastian Hille den sogenannten „Zoll-Deal“ mit den USA begrüßt und der EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen ein „großes Dankeschön“ für ihren Einsatz ausgesprochen. Aus dem Rest der EU-Länder und auch der deutschen Industrie gab es jedoch in Folge massive Kritik am Deal und der Rolle von Merz’ Parteifreundin von der Leyen. Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund wissen, ob Merz bei seiner positiven Bewertung bleibt und wie die Bundesregierung den Niedergang der EU-Verhandlungsmacht gegenüber den USA erklärt, gerade im Vergleich zu Ländern wie China oder auch Brasilien. Von Florian Warweg.
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Hintergrund: „Unterwerfung“
Während etwa Frankreichs Premier François Bayrou den „Deal“ massiv im Namen der französischen Regierung kritisierte und in dem Zusammenhang von „Unterwerfung“ der EU gegenüber den USA sprach und der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán erklärte, der US-Präsident habe Ursula von der Leyen „zum Frühstück verspeist“, ließ Kanzler Merz am 28. Juli via seines Vize-Regierungssprechers Hille erklären, dass man „die Einigung der EU-Kommission mit den USA“ begrüße und dass der Deal angeblich „die Kerninteressen“ Deutschlands sichern würde. Weiter hieß es dazu aus dem Kanzleramt:
„Ein großes Dankeschön gilt in dem Zusammenhang dem Einsatz der Kommissionspräsidentin und auch von Handelskommissar Šefčovič. Besonders von Gewicht ist natürlich, dass es gelungen ist, das abzuwenden, was an Zöllen drohte, und jetzt eine Pauschalregelung von 15 Prozent festzulegen. Ganz besonders für zentrale Bereiche wie die Automobilindustrie ist das von großer Bedeutung, da der Zollsatz im Moment bei 27,5 Prozent, also fast bei 30 Prozent liegt. Das ist quasi eine Halbierung von 30 auf 15 Prozent.
Man kann also sagen: Mit dieser Vereinbarung ist es gelungen, die Kerninteressen Deutschlands und Europas zu wahren.“
„Exporteinbußen von bis zu 31 Milliarden Euro …“
Die angebliche Wahrung der deutschen Kerninteressen durch den „Deal“ sieht in der Realität so aus, dass die Zollerhöhungen der USA für die deutsche Industrie nach Berechnungen der Unternehmensberatung Deloitte Exporteinbußen von bis zu 31 Milliarden Euro in ihrem Geschäft mit den Vereinigten Staaten bedeuten. Laut Deloitte ist damit zu rechnen, dass die deutschen Ausfuhren in die Vereinigten Staaten um ein Fünftel zurückgehen. Am härtesten getroffen wird den Berechnungen zufolge der Maschinenbau mit einem Exportminus von 23 Prozent und Einbußen von 7,2 Milliarden Euro.
An zweiter Stelle folgt die deutsche Pharmaindustrie, deren Ausfuhren in die Vereinigten Staaten demnach um knapp 20 Prozent beziehungsweise 5,1 Milliarden Euro zurückgehen könnten. Mit größeren Exporteinbußen im jeweils zweistelligen Prozentbereich ist den Berechnungen der Unternehmensberatung zufolge auch bei der deutschen Chemie- und Autoindustrie zu rechnen.
„Noch viel weitreichendere Zugeständnisse gemacht …“
Auch der Vorsitzende des Ausschusses für internationalen Handel im EU-Parlament, der SPD-Abgeordnete Bernd Lange, betonte, die Zoll-Einigung gleiche einer Unterwerfung und fügte hinzu:
„Ich kann in dem Zoll-Abkommen nirgends finden, dass EU-Interessen durchgesetzt wurden. Der Deal schadet der EU-Wirtschaft und wird viele Arbeitsplätze kosten.“
Zudem erklärte der EU-Abgeordnete in diesem Zusammenhang gegenüber der FR, dass das ganze Ausmaß des vermeintlichen Deals noch gar nicht bekannt sei:
„Offenbar sind noch viel weitreichendere Zugeständnisse gemacht worden, als das, was die Kommission berichtet.“
Hunderte Milliarden fließen zusätzlich in die USA, aber keine einzige Milliarde in die EU …
Teil des „Deals“ ist es zudem, dass künftig Hunderte Milliarden Dollar in die Vereinigten Staaten fließen: EU-Chefin von der Leyen hat im Zuge der Verhandlungen versprochen, dass europäische Unternehmen allein in den kommenden drei Jahren Energie für insgesamt 750 Milliarden Dollar aus den USA kaufen in Form von im internationalen Vergleich extrem teuren US-Flüssigerdgas (LNG), Öl und Kernbrennstoffe. Zudem erklärte die EU-Chefin, ohne dass sie dafür über ein entsprechendes Mandat verfügt hätte, dass EU-Firmen rund 600 Milliarden Dollar zusätzlich in den USA investieren werden.
Wohlgemerkt das alles, ohne dass die USA im Gegenzug zu ähnlichen Zugeständnissen gezwungen worden wären. Während also die US-Zölle den Export aus der EU signifikant verteuern, können US-Firmen ohne jede weitere Zollbelastung in den EU-Markt exportieren. So ermöglicht die EU im Zuge des „Deals“, dass US-Fahrzeuge künftig zollfrei in die EU exportiert werden können. Derzeit unterliegen Autos Made in USA noch einem Zoll-Aufschlag von zehn Prozent.
Drastische Worte fand in diesem Zusammenhang auch der EU-Abgeordnete Fabio De Masi vom BSW:
„Der sogenannte Deal ist verrückt und ein Verrat an Europa. Wenn Frau von der Leyen das politisch überlebt, ist Europa tot. Es bleibt nur zu hoffen, dass ein paar Staats- und Regierungschefs auf die Barrikaden gehen werden. Während die USA zollfrei in die EU exportieren sollen, werden europäische Exporteure mit einem 15 Prozent Zollsatz belegt. Zusätzlich sollen europäische Unternehmen im Wert von hunderten Milliarden US-Dollar Direktinvestitionen tätigen. (…) Die EU hat sich mit der Sanktionsspirale und den Aufrüstungszielen in eine strategische Sackgasse manövriert.“
Von der Leyens Deal mit Donald Trump ist verrückt und ein Verrat an Europa
Der sogenannte Deal ist verrückt und ein Verrat an Europa. Wenn Frau von der Leyen das politisch überlebt ist Europa tot. Es leibt nur zu hoffen, dass ein paar Staats- und Regierungschefs auf die…
— Fabio De Masi 🦩 (@FabioDeMasi) July 28, 2025
Besonders augenscheinlich wird die „Unterwerfung“ der EU, wenn man das Agieren der EU-Kommission während der Verhandlungen mit dem Auftreten von China oder auch Brasilien gegenüber den USA vergleicht. Selbst ein einzelnes Schwellenland wie Brasilien zeigt sich in den laufenden Verhandlungen weit selbstbewusster und setzte strategisch geschickt seine Verhandlungsmasse in Form von potenziellen Gegenzöllen etwa im Bereich Flugzeuge, Kraftstoffe, Maschinenbau und pharmazeutische Industrie ein und verwies zudem auf die wirtschaftliche Rückendeckung und Exportalternative durch die BRICS und insbesondere China (NachDenkSeiten berichteten).
Es spricht daher Bände, dass vor diesem skizzierten Hintergrund der Sprecher des Auswärtigen Amtes auf der aktuellen BPK im Brustton der Überzeugung verkündete:
„Es gibt keinen Niedergang der EU-Verhandlungsmacht.“
Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 30. Juli 2025
Frage Warweg
Herr Hille, am 28. Juli hatten Sie noch im Namen des Kanzlers den sogenannten Zolldeal mit den USA begrüßt und der EU-Kommissionschefin ein großes Dankeschön für ihren Einsatz ausgesprochen. Jetzt gab es aus dem Rest der EU-Länder und auch aus der deutschen Industrie massive Kritik an dem Deal, auch an der Rolle von Frau von der Leyen. Da würde mich interessieren: Bleibt denn der Kanzler bei seiner positiven Einschätzung des Deals, auch bezüglich der Rolle seiner Parteifreundin von der Leyen?
Vize-Regierungssprecher Hille
Ich hatte schon versucht, am Montag deutlich zu machen, worauf sich das Begrüßen bezieht. Das Begrüßen bezieht sich darauf, dass es eine Grundsatzeinigung zwischen der EU und der amerikanischen Administration gibt. Eine Vereinbarung ist besser als keine Vereinbarung. Der Kanzler hat sich mittlerweile auch selbst dazu geäußert.
Ich hatte das am Montag hier auch gesagt, dass wir uns natürlich bewusst sind, welche Herausforderungen mit dieser Einigung für die deutschen Unternehmen verbunden sind. Bei den einen sind die Herausforderungen etwas größer, bei den anderen etwas kleiner; aber grundsätzlich ist das im Inhalt natürlich eine Herausforderung.
Wir haben am Montag auch darüber gesprochen, ob wir uns mehr gewünscht hätten. Politik ist eben nicht Wünschbares, sondern das, was machbar ist, und das ist das Beste, was machbar war. So habe ich mich geäußert, und so hat sich der Bundeskanzler geäußert.
Der Dank bezieht sich darauf, dass es gut ist, dass wir diese Grundsatzvereinbarung getroffen haben; deshalb hat sie der Kanzler gestern oder vorgestern – ich weiß es nicht mehr genau – beim Statement auch selber wiederholt. Es ist gut, dass es eine Vereinbarung gibt und es nicht zu einer weiteren Eskalation und einem größeren Handelskonflikt kommt, in die wir gelaufen wären, wenn es bis zum 1. August, also übermorgen, keine Vereinbarung gegeben hätte. Das wäre für alle, die Unternehmen wie die Bürgerinnen und Bürger, deutlich schlimmer als die Vereinbarung gewesen.
Zusatzfrage Warweg
China wehrt sich sichtlich erfolgreicher gegen den US-Zollkrieg, und selbst ein Schwellenland wie Brasilien zeigt sich derzeit in der Lage, härter mit den USA verhandeln zu können, als die EU das tut. Da würde mich interessieren: Wie erklärt denn das Auswärtige Amt diesen Niedergang der EU-Verhandlungsmacht, wie er jetzt in diesem konkreten Fall sichtbar wurde?
Giese (AA)
Es gibt keinen Niedergang der EU-Verhandlungsmacht.
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 30.07.2025