Die Bilanz zum Fest des Friedens fällt dieses Jahr düster aus. Klar gewonnen hat der militärisch-industrielle Komplex und das Militär, gleich durch mehrere Nahezu-K.O.-Schläge für alle um den Frieden besorgten Menschen. Auch wenn die NachDenkSeiten gerne gute Hoffnung verbreiten würden, Nüchternheit ist angesichts der in diesem Jahr kräftig veränderten Verhältnisse angebracht. Ich zähle einfach auf. Albrecht Müller
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- Am 23. Dezember meldete meine Regionalzeitung auf der ersten Seite laut dpa unter der Überschrift „Trumps neuer Mann für den Krieg im All“, dass die USA eine „Space Force“ als eigene Teilstreitkraft ins Leben gerufen habe. Der Präsident habe am vergangenen Wochenende ein entsprechendes Gesetzespaket zum Verteidigungshaushalt unterzeichnet. Das ist ein Signal für weitere Aufrüstung und liegt im Trend.
- Am 1.2.2019 wurde gemeldet, dass die USA den Atomwaffenvertrag gekündigt haben. Diese Kündigung stand schon seit dem Herbst 2018 ins Haus. „Nach den USA steigt auch Russland aus dem INF-Vertrag aus. Putin treibt die ohnehin angelaufene Entwicklung neuer Atomraketen voran“ , heißt es dann in der taz. Jedenfalls ist in diesem Jahr die Atombewaffnung und Modernisierung der Atomwaffen kräftig wiederbelebt worden. Wir waren schon viel weiter.
- Im vergangenen Jahr ist die weltweite Verstärkung der Rüstung perfektgemacht worden. Angetrieben von der Forderung der NATO, 2 % des Bruttoinlandsproduktes für Militär auszugeben, ist dies auch in Deutschland perfektgemacht worden. Zwei Personen haben dabei besonders mitgewirkt: Ursula von der Leyen als trotz vieler Skandale um Beratungen und gelöschte Handydaten unangefochtene konservative Politikerin hat quasi unbeeindruckt vom sonstigen Regierungshandeln und den anderen Ministern die Aufrüstung der Bundeswehr vorangetrieben, die neue CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer wurde von Angela Merkel sinnloserweise zur Verteidigungsministerin gemacht und propagiert seitdem die verstärkte Aufrüstung. Wenn es nicht so traurig wäre, müsste man lachen: zwei deutsche Frauen als die Vorkämpfer von Rüstung und kriegerischer Intervention.
- Abrüstung ist aus der Mode gekommen. Sie war 1989/1990 als Absicht erklärt worden. Es ist alles über den Haufen geworfen worden.
- Dass Ursula von der Leyen in diesem Jahr zur Kommissionspräsidentin der Europäischen Union gemacht worden ist, betrachtet man wohl realistischerweise auch als einen Akt zur weiteren Militarisierung der Europäischen Union.
- Manöver an der russischen Grenze. Kein Problem. Schauen Sie sich dieses Video vom vergangenen Sommer an: „NATO-Speerspitze übt den Ernstfall: Logistik räumt von hinten auf – Bundeswehr“. Das zeugt von der Normalisierung des Kriegshandwerks. 2020 geht es mit einem großen Manöver so weiter. Das ist alles in den vergangenen Wochen vorbereitet worden. Siehe hier: Nato-Manöver: 37.000 Soldaten bei Großübung “Defender 2020”.
- Der Russland-Feindbildaufbau läuft wie am Schnürchen. Putin und Russland werden immer mehr zum Bösen per se stilisiert. In den vergangenen Wochen gelang das besonders gut dadurch, dass die russische Regierung direkt für einen Mord im kleinen Tiergarten in Berlin verantwortlich gemacht worden ist. Zwei russische Diplomaten wurden ausgewiesen. Daraufhin wies Russland zwei deutsche Diplomaten aus.
Um sich dessen zu vergewissern, wie der neue Feindbild-Aufbau betrieben worden ist, könnte man auf eine Monitorsendung von 7. Juni 2018 zurückgreifen. Siehe hier: Video: „Feindbild Russland: Wie der Westen die Konfrontation verschärft“. Bis auf ein paar unnötige Bemerkungen des Moderators am Anfang ist dieses Stück recht informativ.
- Die Propaganda, auch der Kampagnenjournalismus läuft wie am Schnürchen. Wie aus dem Automaten wird immer wieder wiederholt: „Russland, der Aggressor. Russland hat die Krim annektiert. Russland führt Krieg in der Ost-Ukraine. Russland führt Krieg in Syrien“. Differenzierung ist nicht angebracht. Und immer wieder wird die Geschichte verkürzt erzählt. Siehe dazu Kapitel III. 3. in „Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst.“
- Vertrauen zwischen dem Westen und Russland wird nicht aufgebaut. Misstrauen wird gesät. Dabei helfen auch die Sanktionen des Westens. Sie sind schlimm für die davon betroffenen Völker. Sie werden inzwischen auch schlimm für Deutschland. Bestes Beispiel sind die Sanktionen wegen Nordstream 2.
- Was einmal mit der Formel „Wandel durch Annäherung“ hoffnungsvoll gestartet worden ist, wurde umgedreht. Jetzt ist eingetreten, was wir auf den NachDenkSeiten zwischenzeitlich prognostiziert haben: ein negativer Wandel durch Konfrontation. In Russland hätte ein Politiker, der heute noch einmal wie Gorbatschow versuchen würde, Frieden mit dem Westen zu machen, vermutlich keine Basis mehr. Es ist logisch, dass sich im Inneren Russlands jene Kräfte durchsetzen werden, die fordern, misstrauisch zu sein und sich auf die eigene Stärke und nicht auf Verhandlungen und Abrüstungsvereinbarungen zu verlassen.
- Die Debatte in der NATO und in den Mitgliedsstaaten der NATO über die Frage, ob man sich auf die USA als Verbündeten mit dem großen Atomschild verlassen kann, hat eine eigenartige, weitreichende Konsequenz. In Deutschland und auch in anderen Staaten der NATO wird jetzt die Möglichkeit einer Militärmacht Europa hinzugefügt. Damit hat die Rüstungswirtschaft einen grandiosen Konter gelandet. Ihre mit den Überlegungen zur Gemeinsamen Sicherheit in der Zeitenwende von 1989 und 1990 und durch die Gründung der KSZE und ihrer Nachfolgeorganisation OSZE verbundenen Sorgen, die Rüstungsaufträge würden schrumpfen, hat sich in Luft aufgelöst. Noch mehr: Jetzt gibt es nicht nur die NATO und die USA, die kräftig aufrüsten. Jetzt kommt auch noch die Europäische Union hinzu. Damit ist die Gefahr für die Rüstungswirtschaft, die 1989 kurz drohte, abgewendet. Und das wird seine Eigendynamik entwickeln. Neue Aufträge, neue Rüstungsproduktion, zusätzliche Rüstungsexporte, Fortsetzung auf der anderen Seite und im Schaukeleffekt zurück – ein sich selbst verstärkender Kreislauf.
Die Zahl 11 (siehe oben elf Punkte) – es ist wie im Karneval: die Rüstungsindustrie kann das Jahr 2019 als eines der erfolgreichsten Jahre der Geschichte feiern. Tut mir leid, dies nüchtern festzustellen. Für am Frieden orientierte und interessierte Mitmenschen gibt es am Ende des Jahres 2019 fast nichts zu feiern.