Klaus von Dohnanyi und Erich Vad: Schicksalsfrage für Europa

Klaus von Dohnanyi und Erich Vad: Schicksalsfrage für Europa

Klaus von Dohnanyi und Erich Vad: Schicksalsfrage für Europa

Ein Artikel von Irmtraud Gutschke

„Krieg oder Frieden“: Klaus von Dohnanyi und Erich Vad diskutieren in diesem neuen Buch die Weltlage und stellen übereinstimmend fest, dass es Sicherheit für Deutschland nicht allein durch Aufrüstung geben kann, sondern dass vor allem auch diplomatische Anstrengungen gefragt sind. Kann man diesbezüglich auf die derzeitige Bundesregierung hoffen? Nur in Kooperation mit Russland, so ist die übereinstimmende Meinung, könnte unser Land aus seiner derzeit schwachen Position wieder herausfinden. Von Irmtraud Gutschke.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Das Buch entstand auf der Grundlage eines Gesprächs, zu dem der Verleger des Westend Verlags, Markus Karstens, beide Autoren eingeladen hat. Am 9. Juli 2025 kamen sie in Hamburg zusammen: Klaus von Dohnanyi und Erich Vad. Ersterer, 97 Jahre alt inzwischen, promovierter Jurist, Urgestein der SPD mit immenser politischer Erfahrung. Unter Willy Brandt, von dem er immer noch gerne spricht, war er 1972 bis 1974 Bundesminister für Bildung und Wissenschaft. Von 1969 bis 1981 Mitglied des Bundestags, danach bis 1988 Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg.

Erich Vad, Brigadegeneral a.D. und Jahrgang 1957, war Sekretär des Bundessicherheitsrates und militärpolitischer Berater von Kanzlerin Angela Merkel. Der Ältere hat noch hautnah erlebt, was Krieg bedeutet, der Jüngere hat eine steile militärische Karriere hinter sich, ist in den USA ausgebildet worden, hat verstanden, dass Regime-Change-Operationen zum selbstverständlichen Repertoire des US-Militärs gehören und hat über die aktuelle Bedeutung des Militärtheoretikers Carl von Clausewitz (1780-1831) promoviert. Im vorigen Jahr hat er bei Westend das Buch „Ernstfall für Deutschland“ veröffentlicht. [1]

Dohnanyi: „War Ihnen bei der Beschäftigung mit Clausewitz klar, dass er in der russischen Armee gedient hatte? Hat Sie das eventuell bewogen, darüber nachzudenken, dass uns damals maßgeblich das Zarenreich von Napoleon befreit hat, ähnlich wie im zweiten Weltkrieg die frühere Sowjetunion bei der Befreiung Deutschlands und Europas von Hitler kriegsentscheidend war?“ Weitreichendes historisches Wissen und militärstrategische Erfahrung – wie beides hier zusammenkommt, macht das Buch so interessant.

Die Europäer und ihr „Wunschkonzert“

Von den Friedenshoffnungen, die vom Treffen zwischen Putin und Trump am 15. August auf Alaska ausgingen, konnten die beiden noch nichts wissen. Aber dass Trump den Ukraine-Krieg beendet sehen oder aber dessen Kosten den Europäern aufbürden will, war ihnen schon klar. In seinem Buch „Nationale Interessen. Orientierung für deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche“ hat sich Klaus von Dohnanyi mit transatlantischer Vasallentreue auseinandergesetzt. [2] Nun scheint damit Schluss zu sein. „Können Sie erklären, warum wir, während Donald Trump versucht, sich mit den Russen irgendwie zu verständigen … warum wir uns da überhaupt nicht politisch einschalten?“ [3]

Nun, „eingeschaltet“ hat sich Kanzler Merz inzwischen wohl, indem er wie Jens Berger so schön feststellte, am 18. August bei einer „Klassenfahrt nach Washington“ mitmachte, die aber keineswegs dazu diente, Friedenshoffnungen zu bestärken. Im Gegenteil, sie kamen als Bedenkenträger. Sehr verschnupft mögen die sieben gewesen sein, als Trump das Treffen unterbrach, um mit Putin zu telefonieren. [4]

Sowieso konnten sie die Logik nicht verstehen, warum er über ihre Köpfe hinweg zunächst mit dem russischen Präsidenten verhandelte. Dabei ist die Erklärung ganz einfach: Weil es ein Stellvertreterkrieg war, dessen Beendigung die beiden Großmächte nun erst einmal unter sich ausmachen müssen. Doch die „Willigen in der EU“ scheinen ihn auf Teufel komm raus weiterführen zu wollen.

Immer gegen die US-Dominanz in Europa eingestellt, hätte ich mir nun fast wünschen mögen, dass Trump im Oval Office dagegen ein Machtwort gesprochen hätte. „Sieben auf einen Streich“ – aber wir sind nun mal nicht im Märchen vom „tapferen Schneiderlein“. In was für einer Geschichte stattdessen? Wenigstens nicht mehr in La Fontaines Fabel von den zwei Ziegenböcken, die einander auf einer schmalen Brücke nicht vorbei lassen und schließlich beide ins Wasser stürzen. Das heißt, Selenskyj befindet sich wohl immer noch in dieser Rolle. Vielleicht kann er wirklich nicht vor und zurück. „Einen sofortigen Friedensschluss zu Putins Bedingungen konnten die Europäer beim Treffen mit Trump abwenden“, hieß es umgehend im Spiegel. [5] Darauf kann Merz nun wahrlich stolz sein: dass der Krieg erst einmal weitergeht. Seine Forderung nach einen Waffenstillstand fegte Trump vom Tisch, zu Recht, weil danach bloß eine neue Eskalation folgen würde. Also erbitterte Kämpfe weiterhin. Empörung über jeden russischen Angriff in den deutschen Medien, während ukrainische Aktionen entweder begrüßt oder verschwiegen werden.

Europa verbissen im Kriegsmodus. Waffenlieferungen, von Anfang an verbunden mit unrealistischen Zielen, so Erich Vad, „also zum Beispiel die Rückeroberung des Donbass und der Krim oder ein militärischer Sieg über die Nuklearmacht Russland. Das war und ist militärisch nicht machbar! … Und die militärische Lage war auch oft ganz anders, als sie medial transportiert wurde. Es war drei Jahre lang ein regelrechtes Wunschkonzert, zum Teil auch billige Propaganda.“ [6].

Naiv, sich eine Welt aus lauter Einzelstaaten vorzustellen

Er beruft sich auf Clausewitz: „Kriege brechen nicht einfach aus. Sie haben ihre Vorgeschichte, ihre politischen Voraussetzungen … Da sind politische Interessen immer im Spiel, und vor allen Dingen: Nicht nur, wenn man Kriege führt, sondern vor allem, wenn man aus Kriegen rauskommen will, braucht man dafür ein politisches Konzept.“ [7]

Dies ist nicht das einzige Buch, das sich dieser Vorgeschichte widmet, den politischen Interessen, die zum Ukraine-Konflikt führten. Wodurch es sich von anderen unterscheidet, ist die Form eines lockeren Gesprächs. Moderiert wurde das Gespräch von Maike Gosch, die an der Vorbereitung beteiligt war und wohl auch an der Nachbereitung, die solch ein Gespräch nötig hat. Lesend darf man sich fühlen, als wenn man dabei wäre. Schließlich ist man ja die ganze Zeit auch mit sich selbst im Disput und ist dankbar für manche Einzelheit, die man nicht mehr im Gedächtnis hat.

„Ich habe amerikanischen Freunden, die über Weihnachten bei uns waren, das erklärt mit der Ukraine und Russland“, so Erich Vad. „Ich habe gesagt: Stellt euch mal vor, in Mexiko würde eine neue Regierung an die Macht kommen, die gern Mitglied der Eurasischen Union von Putin werden möchte und die würde sich dann einigen mit den Russen über Militärstützpunkte und über Raketenstellungen am Rio Grande, und sie würden im Lande gemeinsame Militärmanöver mit den Russen durchführen und im Golf von Mexiko (jetzt heißt er ja Golf von Amerika) Seemanöver veranstalten, zusammen mit den Chinesen und anderen BRICS-Staaten. Stellt euch mal vor, was würden die USA in einer solchen Situation wohl machen? Und der amerikanische Freund sagte prompt, da würden wir, das heißt die USA, sofort einmarschieren.“ [8]

Mir war nicht bewusst, wie Clinton nach 1990 mit seinen Plänen einer NATO-Osterweiterung innerhalb seiner Führungsriege auf Kritik stieß, weil „dies ein Fehler von historischem Ausmaß sei“. Klaus von Dohnanyi: „Dieser rapide Wechsel … einer ganzen Reihe von Staaten, von Estland über Litauen bis Rumänien, die zum russischen Sicherheitssystem nach Westen gehörten und plötzlich Teil des amerikanischen Sicherheitssystems nach Osten wurden, also Mitglied der NATO“, stand ja tatsächlich am Beginn zahlreicher Konflikte. [9]

Vad: „Ja, das war sicherlich aus strategischer Sicht eine fundamentale Schwächung der russischen Sicherheitsposition in Europa …. Die Russen haben ihr Problem auch sehr früh kommuniziert. Ich war ja 2008 mit der Bundeskanzlerin zusammen auf dem NATO-Gipfel in Bukarest, bei dem die Aufnahme der Ukraine und Georgiens anstand. Die Kanzlerin hat meiner Meinung nach berechtigterweise und richtig gesagt, dass das nicht in Frage komme. Die Aufnahme der Ukraine und Georgiens in die NATO würde faktisch Krieg mit Russland provozieren.“ [10]

Es ist eine naive Vorstellung, dass die Welt aus lauter völlig selbstständigen Einzelstaaten besteht, die völlig frei in ihren Entscheidungen sind. Immer schon gab es ein Ringen um Einflusszonen, die sich vergrößerten oder zerfielen und einen Phantomschmerz zurückgelassen haben. Die Zeit des Kalten Krieges mag einem im Vergleich zu heute sogar einigermaßen stabil erscheinen. Im irrigen Glauben, nach dem Zerfall der Sowjetunion als einzige Weltmacht übrig geblieben zu sein, sahen sich Kräfte in den USA bestärkt, Russland mit seinen Interessen nun überhaupt nicht mehr ernst zu nehmen. Gegenreaktionen waren vorauszusehen.

Strategische Sichtweisen verstehen und den Kontrahenten zubilligen

Großmachtpolitik, geostrategische Interessen: Bemängelt wird das in der Öffentlichkeit nur, wenn das Russland betrifft. Als wenn es eine Art Charakterfehler sei, mitgebracht aus sowjetischen, gar zaristischen Zeiten. Den USA wird das zugestanden, und deutsche Politiker sind ärgerlich, dass sie in der Liga der Großen nicht mitspielen dürfen, dass Deutschland nach zwei verlorenen Weltkriegen bestenfalls „Mittelmacht“ ist, wenn nicht ohnehin auf einem absteigenden Ast.

Mit diesem Brett vorm Kopf ist es dann eben schwer, die russische Motivation für das Krim-Referendum 2014 zu verstehen, die Erich Vad nachvollziehen kann. „Die Krim ist strategisch für die Russen so wichtig wie Kaliningrad und Murmansk. Das sind die Eckpfeiler ihrer strategischen Verteidigung.“ [11]

Nüchterner Befund: Völkerrecht hin oder her, Interessen werden durchgesetzt, so lange man es kann. Interessant, wie Klaus von Dohnanyi in diesem Zusammenhang an die geheime Operation der CIA und des MI6 im August 1953 im Iran erinnert, weil der demokratisch gewählte iranische Ministerpräsident Mossadegh die Ölvorkommen verstaatlichen wollte, welche die Kolonialmacht Großbritannien als ihr Eigentum betrachtete. [12]

Strategische Sichtweisen verstehen und den Kontrahenten zubilligen: Das ist für mich ein wichtiger Ertrag des Buches. Generell, um Weltpolitik durchschauen zu können, um zu nüchternen Einschätzungen zu gelangen, welche zugegebenermaßen verständlichen Wünschen auch entgegenstehen können. Da denke ich immer an die ironische Forderung, die 1990 an einer Hauswand in Berlin-Kreuzberg zu lesen war: „Reiche Eltern für alle“. Schön wär’s, es gibt eine enorme Ungerechtigkeit in der Welt. Und der angeschlagene Westen verfügt immer noch über eine gewisse Ausstrahlung.

Dass es doch besser sei, in der EU und in der NATO zu sein, werde ich diesen Herbst womöglich zu hören bekommen, wenn ich nach Georgien und Armenien reise. Wie soll ich antworten? Auf den Ukraine-Krieg verweisen?

Bunt und frei möchte man sich die Welt gerne denken. 195 Staaten, 193 Mitglieder der Vereinten Nationen, vielleicht 5.000 Völker – und jedem sei das Selbstbestimmungsrecht garantiert? Wohlstand auch?

Kriegspropaganda packt uns bei unseren Sehnsüchten und Ängsten

Die deutsche Propaganda zum Ukraine-Konflikt spielt auf dieser Klaviatur: dass ein großes Land ein kleineres mir nichts, dir nichts überfallen habe, dem jetzt Mitgefühl und Beistand gebühre. Zur Unterstützung der Ukraine Druck auf Russland auszuüben, so lautet die westliche Kampfansage. Unter den Tisch gekehrt wird dabei die Verletzung von Menschenrechten der russischsprachigen Bevölkerung, die gewaltsame Ukrainisierung bis hin zur Sprache und Kultur. Weitgehend verschwiegen und insgeheim gar als rechtmäßig betrachtet wurde die sogenannte Anti-Terror-Operation der ukrainischen Armee ab 2014 in den Ostgebieten. 15.000 Tote – das sei ein richtiger Krieg gewesen, so Erich Vad, mit „den Rebellen, den sogenannten Separatisten, die freilich von Russland unterstützt wurden … Das ist genauso, als wenn in Mexiko ein Machtkampf liefe zwischen einer proamerikanischen und einer prorussischen Regierung.“ [13] Darauf habe Russland reagiert. „Aus russischer Sicht ist der Westen der Aggressor: die volle politische Kontrolle der Ukraine und der Versuch, sie ins NATO-Bündnis zu integrieren mit allen Folgekonsequenzen des Verlusts der Kontrolle über das Schwarze Meer und über das Nachbarland.“ [14]

„Herr Vad, was machen wir denn jetzt?“, fragt Klaus von Dohnanyi. „Wir haben einen Krieg mitten in Europa. Wie bringen wir den zu Ende? Dafür muss doch von deutscher Seite etwas getan werden!“ [15] Die Antwort darauf: „Die Amerikaner reden ja mit den Russen schon seit Monaten. Wir Europäer sind aus meiner Sicht aus dem Spiel. Wir haben zwei große, strategische Fehler gemacht, vor allem Deutschland! Wir haben ausschließlich auf die Ukraine und Selenskij gesetzt und Russland in Zeiten der Ampelregierung im Grunde genommen absolut außen vor gelassen.“ [16]

Aber ist es nicht volle Absicht gewesen, in blindem Gehorsam der Biden-Administration zu folgen? „Wenn Russland gewinnt“ – nicht nur Carlo Masala hat uns diese Warnung einhämmern wollen. [17] Man macht uns Angst, damit wir mit der gigantischen Verschuldung Deutschlands einverstanden sind, die letztendlich zu einer weiteren Umverteilung von unten nach oben führt. Den Rüstungskonzernen, nicht zuletzt auch jenen in den USA, sind Gewinne garantiert, die Masse der Bevölkerung aber sieht unsicheren Zeiten entgegen. Alles, nur kein Krieg, werden sie sich sagen und alles schlucken, was ihnen auferlegt ist.

„Putin will eigentlich gar nicht die Ukraine, sondern er will ganz Deutschland und dann will er auch noch Frankreich und dann will er auch noch die Niederlande und am Ende will er zum Atlantik marschieren.“– Klaus von Dohnanyi hält das für eine völlige Fehleinschätzung.[18] Erich Vad auch, gibt aber zu bedenken, dass Russland voll auf Kriegswirtschaft umgestellt hat, was hiesige Ökonomen ebenfalls befürworten. Mit dem Hintergedanken, dass ein Krieg „die wirtschaftliche Stagnation und viele andere politische Probleme scheinbar lösen könnte“, indem diese dann „keine Rolle mehr spielen“. Extrem gefährlich könnte es in der derzeit aufgeheizten Stimmung werden. Und sei es auf Nebenschauplätzen im Baltikum – wenn „ein kleiner Funke dann plötzlich zur Explosion kommt, eine politische Kettenreaktion abläuft, die nicht mehr eingefangen wird und dann sind wir in einem Krieg mit Russland.“ [19]

Dagegen setzt er ein Zitat von Moshe Dayan: „Wenn du Frieden willst, reicht es nicht aus, mit deinen Freunden zu reden, du musst mit deinen Feinden reden.“

Diplomatie als Gebot der Stunde

Wie vielen in der DDR Sozialisierten widerstrebt es mir zutiefst, in Russland einen Feind zu sehen. Auch wenn der Krieg für das Land nicht folgenlos geblieben ist, wenn Patriotismus in Nationalismus übergeht und der „kollektive Westen“ auf eine grundsätzliche Weise zum Gegner erklärt wird. Man vertraut uns nicht mehr. Und ich kann nur hoffen, dass sich Putins Vertrauen in Trump nicht als Illusion erweist.

Und welche Folgen wird die Stationierung US-amerikanischer Mittelstreckenraketen 2026 haben? „Mit einer Abwehrkomponente, mit einer Angriffskomponente, mit Hyperschallwaffen, nuklear oder konventionell bestückt“ – Erich Vad sieht darin eine sehr schlechte Lösung. [20] Und Klaus von Dohnanyi war noch unter Kanzler Schmidt bei einer NATO-Übung dabei, wo simuliert wurde, Deutschland nuklear zu verseuchen, „um die Russen am Vormarsch zu hindern“. [21]

Deutschland als potenzielles Schlachtfeld in einem europäischen Krieg – wie wäre das zu verhindern? Durch Abschreckung durch Aufrüstung? Wirklich? Erich Vad bemängelt, dass die Bundeswehr zum Ende des Kalten Krieges 500.000 Soldaten hatte, aber jetzt nur noch 180.000 Mann. Wieviel Kanonenfutter (oder Drohnenfutter) würde man denn brauchen? In neue, digitale Technologien investieren? Russland tut das auch. So wären wir also wieder beim Wettrüsten, das auch zu einer Form von Wirtschaftskrieg führt. Dass es nichts bringt, sich weiter in eine Kriegshysterie hineinzusteigern, darin sind sich die Beiden einig.

Wenn man das russische Verhandlungsangebot vom Dezember 2021 endlich ernst nehmen würde, könnte man Putin „hineinlocken“ in eine neue Verhandlungsrunde? Klaus von Dohnanyis Frage hat sich inzwischen geklärt. Verhandlungen sind im Gange, aber die Gefahr besteht, dass Deutschland, dass Europa sie torpedieren wird. Trump hat versprochen, dass er diesen Krieg beenden will. Die Ukraine hat die Mitgliedschaft in der NATO in ihrer Verfassung verankert. Russland lehnt sie strikt ab. Die Europäer haben die ganze Zeit die „territoriale Integrität“ des Landes auf ihre Fahnen geschrieben, die bei einer Verhandlungslösung nicht zu haben wäre. Russland hat schon 2021 sehr weitreichende Sicherheitsgarantien verlangt und bereits „neue Regionen“ in die Föderation eingegliedert. Dass die Ostgebiete mit einer gewissen Autonomie in der Ukraine bleiben könnten, sah das Minsker Abkommen vor. Doch dieser Zug ist inzwischen abgefahren.

„Am Ende ist es ein Geschäft, in dem beide Seiten gesichtswahrend rauskommen müssen“, so Erich Vad. „Was können wir beide denn tun, dass unsere Bundesregierung versteht, was ihre Aufgabe ist?“ Wie ehrlich hilflos spricht Klaus von Dohnanyi da unsereinem aus dem Herzen!

Kann es überhaupt mit der Bundesregierung gelingen, die wir derzeit haben? Eine tief wurzelnde Russophobie nicht erst seit Zeiten des Kalten Krieges hat sich in die Hirne eingefressen, sonst wären die Kontakte zu Russland doch nicht abgebrochen worden, als sie am notwendigsten waren. Klar, dass Putin gern mit Trump verhandelte, der Russland inzwischen in aller Deutlichkeit als Großmacht anerkennt. Er hätte auch den Hörer abgenommen, wenn Merz ihn angerufen hätte. Aber hätte der es denn geschafft (und gewollt), ihm wie Trump erst einmal zuzuhören, um seine Position zu verstehen?

„Merz tickt völlig unhistorisch“, meint Klaus von Dohnanyi. „Es gibt keinen Frieden in Europa ohne Russland, und es gibt keinen Frieden in Europa, ohne dass Deutschland zu diesem Frieden mit Russland einen entscheidenden Beitrag leistet. Wenn Putin heute so bitter über Deutschland redet, dann auch deswegen, weil ihn kein Land in Europa so enttäuscht hat. „Unsere Stärke war, dass wir mit Russland in der Kooperation waren … Horst Teltschik hat das ja wunderbar beschrieben, was für die Russen wichtig ist: das Wichtigste ist, dass sie ihre Würde haben, dass sie respektiert werden auf einer Ebene wie die andere Seite auch.“ [22]

NATO-Friedenstruppen: eine Irreführung der Öffentlichkeit

Vielleicht ist es auch ein charakterliches Problem, dass der deutsche Bundeskanzler in seiner Furcht, seinem Hass auf Russland zu einem Gespräch auf Augenhöhe nicht fähig und nicht willens ist. Aber es könnte uns teuer zu stehen kommen. Nach den Gesprächen im Weißen Haus vergangene Woche nahm er gleich den Mund wieder voll. Bekräftigte, dass der Ukraine „keine Gebietsabtretungen aufgezwungen werden dürften“. [23] Ob Bundeswehrsoldaten in die Ukraine geschickt würden, das müsse das Parlament entscheiden. Dabei dürfte ihm doch klar sein, dass dies gerade der Knackpunkt ist: Russland duldet keine NATO-Präsenz vor seiner Haustür. Er weiß es natürlich und denkt: Nun gerade. Um mit Erich Vad zu sprechen: Das wäre so, als wenn Russen und Chinesen Truppen nach Mexiko schicken würden. Ohne die antirussische Aus- und Aufrüstung der Ukraine wäre es nicht zu diesem Krieg gekommen.

Keine Rede davon, dass Waffenlieferungen an Kiew eingestellt werden. Trump geht es nur darum, wer die Kosten trägt. Wenn in Kiew geplant ist, nun amerikanische Waffensysteme im Wert von 100 Milliarden Dollar zu erwerben, und die Europäer das bezahlen sollen, wie die Financial Times berichtet, ist das für ihn ein wunderbarer Deal. [24] 100 Milliarden für den „Frieden“ und dann vielleicht noch der Friedensnobelpreis? Könnte er so ein Angebot ausschlagen?

„NATO-Friedenstruppen“: Das ist eine Irreführung der Öffentlichkeit. In Russland wird man es als Signal verstehen, dass der Krieg im westlichen Interesse weitergeführt werden soll – mit allen Konsequenzen. Wir brauchen eine vertraglich abgesicherte Friedensordnung in Europa unter Einbeziehung Russlands. Für unser Land und unseren Kontinent wäre das die beste Sicherheitsgarantie.

Klaus von Dohnanyi/ Erich Vad: Krieg oder Frieden. Deutschland vor Entscheidung. Westend Verlag, 144 S., geb., 20 €

Titelbild: Westend Verlag


[«1] Erich Vad: Ernstfall für Deutschland. Ein Handbuch gegen den Krieg. Westend Verlag, 80 S., br., 15€.

[«2] Klaus von Dohnanyi: Nationale Interessen. Orientierung für deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche. Siedler Verlag, 299 S., geb., 26 €.

[«3] Dohnanyi /Vad, S. 24f

[«4] sueddeutsche.de/politik/ukraine-krieg-newsblog-trump-selenskij-merz-treffen-livestream-li.3298820

[«5] spiegel.de/politik/deutschland/ukraine-krieg-erfolg-fuer-friedrich-merz-bei-donald-trump-kommentar-a-fd7427c1-185a-467b-a026-acd9f8f86a8e

[«6] Dohnanyi/Vad, S. 21

[«7] ebenda, 20

[«8] ebenda, S. 30f

[«9] ebenda, S. 33

[«10] ebenda, S. 35

[«11] ebenda, S. 38

[«12] ebenda, S. 40

[«13] ebenda, S. 50f

[«14] ebenda, S. 47

[«15] ebenda, S. 52

[«16] ebenda, S. 53

[«17] Carlo Masala: Wenn Russland gewinnt. C.H.Beck, 119 S., br., 15 €.

[«18] Dohnanyi/ Vad, S. 61

[«19] ebenda, S. 57

[«20] ebenda, S. 74

[«21] ebenda, S. 76

[«22] ebenda, S. 139

[«23] deutschlandfunk.de/merz-ukraine-keine-gebietsabtretungen-aufzwingen-100.html

[«24] ft.com/content/8dad9c67-59da-4f38-b43a-3d6ba5f1df57