Steht Gesundheitsminister Lauterbach weiterhin zu seiner Aussage der „nebenwirkungsfreien“ Covid19-Impfung?

Steht Gesundheitsminister Lauterbach weiterhin zu seiner Aussage der „nebenwirkungsfreien“ Covid19-Impfung?

Steht Gesundheitsminister Lauterbach weiterhin zu seiner Aussage der „nebenwirkungsfreien“ Covid19-Impfung?

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) hat in einem Schreiben auf die Anfrage mehrerer EU-Parlamentarier dargelegt, dass von Beginn an klar war, dass die COVID-19-Impfstoffe nur dem Schutz der geimpften Person und nicht dem Fremdschutz dienen. Dazu hätten auch keinerlei Daten von den Herstellern vorgelegen. Ebenso spricht die EMA davon, dass sie im Zusammenhang mit der Impfung von zahlreichen Nebenwirkungen ausgeht. Diese Aussagen der obersten EU-Arzneimittelbehörde stehen in direktem Widerspruch zu Aussagen des amtierenden Gesundheitsministers und den auf dem „Fremdschutz“-Argument basierenden grundrechtseinschränkenden Maßnahmen der Bundesregierung. Folglich fragten die NachDenkSeiten diesbezüglich auf der Bundespressekonferenz nach. Die Versuche des Sprechers des Gesundheitsministeriums (BMG), die Aussagen seines Chefs zu verteidigen, gerieten zu einem argumentativen Fiasko. Sie halten einem Faktencheck nicht stand. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Faktencheck der Aussagen des Sprechers des Gesundheitsministeriums

Gehen wir die vom Sprecher des Gesundheitsministers vorgebrachten Argumente Punkt für Punkt durch:

  1. Es gab keine Notfallzulassung“

Das ist eine rein formal-juristische Definition, die vom BMG-Sprecher angesetzt wird. Offiziell spricht man von einer sogenannten „bedingten Zulassung“ (conditional marketing authorisation, CMA), die auf verkürzten Zeitfenstern und niedrigeren Hürden beruht. Begründet wurde ein solches Vorgehen aber unter explizitem Verweis auf eine Notlage/Notfall. Auch zahlreiche anerkannte Virologen, wie zum Beispiel Alexander Kekulé, bezeichneten dieses Vorgehen vor diesem Hintergrund regelmäßig als Notfallzulassung („Wir sprechen hier weiterhin von Notfallzulassungen…“).

  1. Fremdimmunisierung wurde im Laufe des weiteren Rolling-Review-Verfahrens bestätigt“

Diese Aussage des BMG-Sprechers erscheint recht gewagt. Herr Gülde argumentiert, dass der Impfstoff im sogenannten „Rolling-Review-Verfahren“ (Erläuterung zu diesem Verfahren finden Sie hier) auch nach der bedingten Zulassung weiter getestet wurde und dabei die „Fremdimmunisierung“ bestätigt worden sei. Dass der Impfstoff mittels Rolling-Review weiter getestet wurde, stimmt durchaus, die Frage ist aber, ob wie behauptet das Testverfahren überhaupt den Aspekt des „Fremdschutzes“ abdeckte. Denn wirft man einen Blick auf den sehr ausführlichen EMA-Bericht zur regulären Marktzulassung Ende 2022, in denen die Erkenntnisse aus dem Rolling-Review-Verfahren eingeflossen sind, dann stellt man fest, dass das Thema Übertragung/Fremdschutz nur ein einziges Mal auftaucht und zwar auf Seite 33 des Zulassungsberichts unter der Überschrift „Ungewissheiten und Einschränkungen“. Dort heißt es:

„Die verbleibenden Unsicherheiten beziehen sich hauptsächlich auf die Anwendung bei immungeschwächten Personen, die langfristige Wirksamkeit und Sicherheit und die Wirksamkeit gegen die Übertragung.“

Diese einmalige Nennung und entsprechende Darlegung im EMA-Zulassungsbericht von Ende 2022 lässt zwei mögliche Erklärungen zu:

  1. Das Thema Übertragung/Fremdschutz wurde im Gegensatz zur Darlegung des BMG-Sprechers gar nicht im Rolling-Review-Verfahren untersucht.
  1. Der Aspekt des Fremdschutzes wurde untersucht, die Ergebnisse waren aber nicht eindeutig.

Doch egal ob Option 1 oder 2 zutrifft, beide stehen im eklatanten Widerspruch zur Behauptung des BMG-Sprechers bezüglich eines angeblich bestätigten Fremdschutzes, also steriler Immunität, durch die in der EU verabreichten Covid19-Impfstoffe. Das trifft in Folge natürlich auch auf die Aussage des Sprechers vom Bundesverteidigungsministerium, den ehemaligen ARD-Journalisten Michael Stempfle, sowie Kanzler-Sprecher Steffen Hebestreit zu. Beide stimmten der fragwürdigen Darstellung des BMG-Sprechers mit den Worten „Es ist alles gesagt“ in der Bundespressekonferenz zu.

  1. Selbst wenn es eine völlig nebenwirkungsfreie Impfung geben würde…“

Gefragt, ob Karl Lauterbach angesichts der Erklärung im EMA-Brief, dass mit zahlreichen Nebenwirkungen bei der mRNA-basierten Covid19-Impfung zu rechnen sei, weiterhin zu seinen Aussagen von August und November 2021 steht, in welchen er ohne jede Relativierung von „nebenwirkungsfreier Impfung“ gesprochen hatte, erklärt der BMG-Sprecher:

„Meines Wissens ging es aber damals um etwas völlig anderes, und zwar, wenn ich das noch richtig im Kopf habe, hatte der Minister damals von Folgendem gesprochen: ‚Selbst wenn es eine völlig nebenwirkungsfreie Impfung geben würde – ich paraphrasierte das jetzt einfach einmal ein bisschen -, hätten wir aber trotzdem noch Impfgegner, die dagegen vorgehen würden.“

Diese Darstellung des BMG-Sprechers ist nachweislich falsch. Die entsprechenden absoluten Aussagen Lauterbachs auf X (damals noch Twitter) sind weiterhin öffentlich einsehbar und wurden bis heute nicht von ihm korrigiert. Am 14. August 2021 erklärte er:

„Und zusätzlich geht es darum, weshalb eine Minderheit der Gesellschaft eine nebenwirkungsfreie Impfung nicht will, obwohl sie gratis ist und ihr Leben und das vieler anderer retten kann.“

Zwei Monate später, am 21. November 2021, verkündete Lauterbach ebenso uneingeschränkt:

„Bei Kindern im Alter 12-15 war BionTech zu 100% wirksam gegen Covid ohne Nebenwirkungen.“

Ob da nächste Woche in der Bundespressekonferenz noch eine entsprechende Richtigstellung vom Bundesgesundheitsministerium zu erwarten ist? Heute, am 15. Dezember, hat Karl Lauterbach übrigens Folgendes via X verkündet und damit direkt die Aussagen seines eigenen Sprechers ad absurdum geführt:

„Hoffentlich gelingt uns bald eine Impfung die vor Ansteckung schützt. Sonst bleibt Covid eine Art Lotterie für längere Symptome.“

Protokoll der Regierungspressekonferenz in der BPK vom 13. Dezember 2023:

Frage Warweg
Die EMA, die Europäische Arzneimittel-Agentur, hat einen Antwortbrief, der jetzt auch veröffentlicht worden ist, dargelegt, und zwar in Reaktion auf die Anfrage von mehreren EU-Parlamentariern, in der die EMA sehr klar darlegt, dass für sie von Anfang an klar war, dass die COVID-19-Impfstoffe ausschließlich der Eigenimmunisierung und nicht dem Fremdschutz dienten. Die entsprechende Notfallzulassung sei auch ausschließlich in diesem Sinne erfolgt. Zum Fremdschutz oder zu steriler Immunität hätten auch keinerlei Daten der Hersteller vorgelegen. Da jetzt ein Großteil der Grundrechtseingriffe über den Verweis auf den Fremdschutz erfolgte, würde mich interessieren, ab welchem Zeitpunkt die Bundesregierung denn auf dem Stand der EMA war. Die Frage geht an das Gesundheitsministerium, den Kanzlersprecher und angesichts der Aussagen bei der letzten Bundestagsanhörung des Verteidigungsministers auch an das Verteidigungsministerium.

Gülde (BMG)
Herr Warweg, zunächst einmal vorweg: Es gab keine Notfallzulassung. Die Behauptung wird immer wieder einmal aufgeworfen. Das stimmt aber einfach nicht. Es gab eine Zulassung unter Auflagen. Das ist auch etwas Gängiges im Bereich der Arzneimittel und Impfstoffzulassung im europäischen Bereich. Notfallzulassungen gab es beispielsweise in den USA, hier in Europa definitiv nicht.

Was es in Europa gab, war, wie gesagt, eine Zulassung unter Auflagen. Es gab ein Rolling-Review-Verfahren. Im Zuge der Zulassung gibt es ja auch klinische Prüfungen. Dafür bedarf es aber einer Langzeitbeobachtung. Deshalb gab es auch im europäischen Zulassungsverfahren das sogenannte Rolling-Review-Verfahren, in dem das Verfahren dann halt weitergetrieben wurde. Es wurden also weitere Auflagen erteilt und Langzeitbeobachtungen durchgeführt. Die Zulassung betraf dann eben, wie Sie schon gesagt haben, die eigene Immunisierung. Wie sich das Ganze dann weiter entwickeln würde und ob das tatsächlich auch zu einer Fremdimmunisierung beiträgt, wurde dann tatsächlich auch im Laufe des weiteren Rolling-Review-Verfahrens bestätigt.

Stempfle (Bundesverteidigungsministerium)
Es ist alles gesagt.

Zusatzfrage Warweg
Die EMA spricht in ihrem Brief auch davon, dass sie zahlreiche Nebenwirkungen erwartet, zum großen Teil eher leichter Natur. Aber sie spricht auch schwerere Nebenwirkungen wie Entzündungen von Herzmuskeln oder Herzbeuteln an. In dem Zusammenhang würde mich interessieren, ob der amtierende Gesundheitsminister denn noch zu seinen zwei Tweets von Ende 2021 steht, in denen er in sehr absoluter Form ohne jede Einschränkung von nebenwirkungsfreier Impfung gesprochen hat, einmal in Bezug auf Erwachsene, einmal in Bezug auf Kinder, und, wenn nicht, ob er plant, diese zwei Tweets zu ergänzen oder zu korrigieren.

Gülde (BMG)
Herr Warweg, ich muss offen gestehen: Mir sind diese Tweets nicht mehr ganz geläufig. Meines Wissens ging es aber damals um etwas völlig anderes, und zwar, wenn ich das noch richtig im Kopf habe, hatte der Minister damals von Folgendem gesprochen: Selbst wenn es eine völlig nebenwirkungsfreie Impfung geben würde – ich paraphrasierte das jetzt einfach einmal ein bisschen -, hätten wir aber trotzdem noch Impfgegner, die dagegen vorgehen würden. Insofern wurden die möglichen Nebenwirkungen dann natürlich auch genau vom Paul-Ehrlich-Institut untersucht. Sie wissen: Es gab auch europäische Abstimmungen darüber. Sie haben halt auch irgendwie die Herzmuskelentzündungen angesprochen. Es gab ja entsprechende Fälle und Verdachtsfälle im Fall des Impfstoffs von AstraZeneca, und darauf wurde sofort reagiert. Nichtsdestotrotz gibt es aber natürlich immer eine Abwägung. Insofern sah auch die Empfehlung der STIKO eben vor, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis ein sehr eindeutiges ist. Deshalb gab es auch eine Empfehlung seitens der Ständigen Impfkommission.

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Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 13.12.2023

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