Michael Klundt: „Wie viel mehr Kriegspartei wollen Deutschland und die NATO noch werden?“

Michael Klundt: „Wie viel mehr Kriegspartei wollen Deutschland und die NATO noch werden?“

Michael Klundt: „Wie viel mehr Kriegspartei wollen Deutschland und die NATO noch werden?“

Ein Artikel von Marcus Klöckner

„Wenn sie alle Kritiker von Waffenlieferungen und Nuklearkriegs-Gefahren als Anhänger von ‚Radio Moskau‘ diffamiert, kann man ihr nur entgegnen, dass ‚Radio Rheinmetall‘ auch nicht besser ist“ – das sagt der Politikwissenschaftler Michael Klundt im Interview mit den NachDenkSeiten im Hinblick auf das Verhalten von Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Im Interview beleuchtet der Professor für Kinderpolitik an der Hochschule Magdeburg-Stendal das Spannungsverhältnis zwischen der Kindergrundsicherung und der Rüstungspolitik und analysiert kritisch den Krieg in der Ukraine. Scharfe Kritik übt er an den Medien. Er spricht von einem katastrophalen Journalismus, der „in seiner plumpen Einseitigkeit“ den Rundfunkstaatsvertrag verletze. Dies ist der zweite Teil des Gesprächs, den ersten Teil finden Sie unter diesem Link. Von Marcus Klöckner.

Sehen Sie ein Spannungsverhältnis zwischen der Kindergrundsicherung und der aktuellen Kriegs- und Rüstungspolitik?

Auf den ersten Blick könnte man ja denken, dass diese beiden Themen eigentlich nichts miteinander zu tun haben. In der Regel gilt, dass das Geld für Rüstung und Krieg nicht nur Menschen und Umwelt zerstört, sondern auch für sinnvolle Investitionen wie die Kindergrundsicherung fehlt. Doch eine besondere Verbindung wurde zuletzt explizit von der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock hergestellt. Sie hatte allen Ernstes europäische Rüstungsgeschäfte mit Saudi-Arabien damit legitimiert, dass anderenfalls noch mehr als 100 Milliarden Euro zusätzlich für Aufrüstung ausgegeben werden „müssten“ und für Soziales und Kinder noch mehr gespart werden „müsste“. Wenn der Rüstungs-Deal mit Saudi-Arabien zur Beihilfe beim Vernichtungskrieg gegen die Zivilbevölkerung Jemens platzen würde, hätte „man“ kein Geld mehr für die Kindergrundsicherung.

Was heißt das denn in Zahlen ausgedrückt?

Aus meiner Sicht bedeuten 100 Milliarden Euro mehr fürs Militär zunächst einmal, dass dieses Geld in Bildung und Jugendhilfe fehlt.

Aus Sicht der Bundesaußenministerin lässt sich die Kindergrundsicherung aber offenbar nur finanzieren, wenn Saudi-Arabien mit Mordwerkzeug ausgerüstet wird, um den Jemen zu bombardieren. Die zynische Logik darin bedeutet, dass wir für arme Kinder in Deutschland nur etwas tun können, wenn wir dabei mithelfen, arme Kinder im Jemen zu töten. Vor über hundert Jahren nannte man sowas noch „Sozial-Imperialismus“ – und manche schämten sich sogar dafür. Bis vor kurzem hätte man in der De-facto-Gegenüberstellung von „jemenitischem Lebensrecht“ und „deutscher Kindergrundsicherung“ auch noch den darin enthaltenen brutalen Rassismus kritisiert. Aber heute heißt das „wertebasierte, feministische Außenpolitik“ – und bekommt statt fliegender Tomaten Standing Ovations. Dieser Abgrund an Scheinheiligkeit ist vielleicht wirklich Teil einer „Zeitenwende“.

Wie erklären Sie sich, dass auf der einen Seite Kinder bei uns materielle Not leiden, dass aber auf der anderen Seite so viel Geld in die Kriegs- und Rüstungspolitik fließt?

Es bedeutet wohl schlicht, dass das eine in der herrschenden Politik eben als wichtiger angesehen wird als das andere. Kinderarmut zu bekämpfen oder wenigstens bis 2025 eine armutsfeste Kindergrundsicherung umzusetzen, müsste stärker unterstützt werden. Doch ausgerechnet diese Pläne wurden zuletzt in ein seltsames Kausalverhältnis zu einem europäischen Rüstungsexportprojekt zugunsten Saudi-Arabiens gesetzt und damit infrage gestellt.

Kinder haben keine Lobby, heißt es bisweilen. Die Rüstungsindustrie aber schon.

In der Tat. Vergleichen Sie nur das mediale Vorkommen der Bundesfamilienministerin Paus mit der Medienpräsenz der Rüstungslobbyistin und „Volkssturm“-Agnes Strack-Zimmermann . Wenn sie alle Kritiker von Waffenlieferungen und Nuklearkriegs-Gefahren als Anhänger von „Radio Moskau“ diffamiert, kann man ihr nur entgegnen, dass „Radio Rheinmetall“ auch nicht besser ist. Und dies beweist ausgerechnet eine Partei, die bis zum 26. September 2021 auf ihre Wahlplakate schrieb: „Wir setzen uns für ein Exportverbot von Waffen und Rüstungsgütern an Diktaturen, menschenrechtsverachtende Regime und in Kriegsgebiete ein“.

Die Außenministerin rechtfertigt das Handeln ihrer Partei.

Ja, Baerbock hat auf dem grünen Bundesparteitag im Oktober 2022 die Rüstungs-Kooperationen zugunsten Saudi-Arabiens damit gerechtfertigt, dass man ja nicht direkt liefere (nur mit europäischen Partnern zusammen) und dass man nur ältere Verträge noch umsetzen müsse; würde man das nicht tun, müsse das 100-Milliarden-Euro-Aufrüstungspaket der Bundesregierung vom „Zeitenwende“-Februar 2022 nochmals erweitert werden zuungunsten der Ärmsten der Armen. Herz- und hirnerweichend appellierte sie an die kinderfreundlichen Instinkte ihrer Parteitagsdelegierten: „Und ich will nicht, dass wir noch mehr im sozialen Bereich sparen und Lisa dann keine Mittel mehr hat für die Kinder, die sie dringend brauchen.“

Mit „Lisa“ ist die Bundesfamilienministerin Lisa Paus und ihr Projekt einer Kindergrundsicherung gegen Kinderarmut gemeint?

Ja, Baerbock meinte Paus. Und wer will schon, dass wir noch mehr im sozialen Bereich sparen! Die armen Kinder! Da müssen wir einfach mit den europäischen Partnern Saudi-Arabien mit Waffen beliefern. „Rüstungsexporte für den Sozialstaat“, lautete daher auch eine Zwischenüberschrift in einem kritischen Artikel der taz vom 15.10.2022. „Wir“ können schließlich nichts dafür, dass Saudi-Arabien seit mehreren Jahren einen buchstäblichen Vernichtungskrieg gegen den Jemen führt, mit hunderttausenden Toten. Da müssen „wir“ einfach drüber hinwegsehen. So, genug der Ironie.

Vor kurzem sorgte ein kriegskritischer Kommentar der MDR-Journalistin Rommy Arndt in einigen Medien für Empörung. Arndt warf Strack-Zimmermann vor, „viel Kontakt zur Rüstungsindustrie“ zu haben. Haben Sie den Kommentar gehört?

Nach zehn Monaten öffentlich-rechtlicher Kriegsberichterstattung, die zu – gefühlt – 99 Prozent für Waffenexporte eingestellt war, und einer Bevölkerung, die mindestens zur Hälfte gegen Waffenlieferungen eingestellt ist, aber zu 100 Prozent durch GEZ diese Berichterstattung finanzieren muss, durfte nun zum – gefühlt – ersten Mal eine Radio-Kommentatorin des MDR die Ansichten von über 50 Prozent der Bevölkerung und von über 70 Prozent der Ostdeutschen zu dieser lebenswichtigen Frage vertreten.

Das war wohl schon zu viel an Meinungsvielfalt, oder?

Die MDR-Redaktion meinte, sich sofort dafür rechtfertigen zu müssen. Die einschlägigen Rüstungslobbyist(inn)en, Kriegshetzer und Waffenexport-Fanatiker hätten die Journalistin am liebsten gevierteilt, die ostdeutsche Zuhörerschaft war dagegen überwiegend der Ansicht von Frau Arndt. Das ist erfreulich und zeigt den Unterschied zwischen öffentlicher Meinung und veröffentlichter Meinung.

Sie sind nicht nur Kindheitsforscher, sondern auch Politikwissenschaftler. Wie geht die Politik in Deutschland, wie gehen Medien und Experten mit dem Krieg in der Ukraine um?

Es ist aus meiner beschränkten Sicht heraus katastrophal und verantwortungslos, wie ein Großteil der deutschen Medien, Wissenschaft und Politik hier vorgehen. Ein kurzer Blick nach Mexiko, Brasilien, Südafrika, Indien, Indonesien, China usw. reicht aus, um zu sehen, wie einseitig in Deutschland das NATO-Narrativ zu 100 Prozent nachgebetet wird.

Während die US-Unterstaatssekretärin Nuland („Fuck the EU!“) kürzlich in einer parlamentarischen Anhörung sich erfreut gezeigt hat, dass die europäische Gasversorgung aus Russland über Nord Stream nur noch ein Haufen Metallschrott auf dem Boden der Ostsee sei, sinnt die politische Führung Deutschlands weiterhin schweigend darüber nach, wie viele „befreundete“ Staaten bzw. Geheimdienste wohl nicht am Nord-Stream-Anschlag beteiligt waren.

Und zugleich pfeifen die Berliner und Brüsseler Spatzen noch eine weitere Problemdimension von den Dächern. Sollte sich der deutsche Bundeskanzler doch noch an seinen Amtseid erinnern und ein wenig Souveränität gegenüber den USA einfordern, ist es nicht unwahrscheinlich, dass relativ umgehend NSA-Überwachungsprotokolle seiner Cum-Ex-Gespräche „zufällig“ auftauchen, die ihn politisch zu Fall bringen dürften. Ähnlich würde es der Präsidentin der EU-Kommission ergehen, deren gelöschte Dateien, Mails und sonstige Nachrichten über millionen- bzw. milliardenschwere Geschäfte mit dubiosen Beraterfirmen des Bundesverteidigungsministeriums oder zu EU-Geheimverträgen mit dem Pfizer-Chef und anderen sich sicherlich noch in NSA-Besitz befinden und „plötzlich“ auftauchen würden. Doch letztere Gefahr ist recht unwahrscheinlich, da sich von der Leyen noch wesentlich atlantiktreuer gibt als der ein wenig weltkriegs-skeptische Bundeskanzler.

Für mich bleibt das verlegene und pikierte Lächeln der damaligen Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen von 2016 bezeichnend, als sie mehr Soldaten fordert, aber zugibt, dass keines ihrer sieben Kinder beim Militär war, ist und sein wird. Töten und Sterben, das sollen gefälligst die kleinen Leute tun.

DIE GRÜNEN haben für die Wahl am 26. September 2021 mit Wahlplakaten geworben: „Keine Waffen und Rüstungsgüter in Kriegsgebiete“. Und jetzt: Deutsche Panzer in die Ukraine. Wie erklären Sie sich dieses Verhalten der Grünen?

Wir hatten so eine Entwicklung bereits Ende der 1990er Jahre, als Regierungsgrüne für die Bombardierung Belgrads und Jugoslawiens eintraten und dabei vorgaben, ein imaginiertes „Auschwitz im Kosovo“ verhindern zu müssen. Die damals wirksame psychologische Kriegsführung mit allen nur vorstellbaren Kriegslügen und Feindbildern ist von den Protagonist(inn)en seitdem nie selbstkritisch aufgearbeitet worden. In der Zeit der darauf folgenden Afghanistan-, Irak-, Libyen- und Syrienkriege waren grüne und andere Kriegshetzer auch keine Seltenheit, aber insgesamt etwas leiser und latenter. Hier und da kritisierten auch heute noch führende Grüne zum Beispiel die deutsche Enthaltung Guido Westerwelles im UN-Sicherheitsrat zum völkerrechtswidrigen Regime-Change-Krieg gegen Libyen 2011. Allerdings nicht etwa, weil sie gegen diesen Krieg waren, sondern, weil sie forderten, dass Deutschland für diesen Krieg eintreten solle und auch mit bombardieren sollte (circa 40.000 Tote).

Das von Sahra Wagenknecht präzise beschriebene Milieu der Selbstgerechten mit dem extra-guten Gewissen – über Freund und Feind erhaben – der moralischen Reinheit und dem enormen Bekehrerzwang scheint sich auch hier Bahn zu brechen.

Vielen Journalisten scheint diese Täuschung der Wähler völlig egal. Was sind die Gründe dafür?

Oft gleiches Milieu – meist gleicher Habitus, gleiche Verweigerung von Selbstkritik. Diese Mischung aus moralinsaurem Eifer und evangelikalem Bekehrungszwang provoziert mitunter Verhältnisse, die bisweilen an Goethes „Zauberlehrling“ erinnern. Ich hoffe wirklich sehr, dass ich mich irre, aber „Volkssturm“-Agnes und ihre Verstärker-Freunde von „Radio Rheinmetall“ funktionieren beinahe perfekt im Sinne psychologischer Kriegsführung. Zum Schaden der deutschen Bevölkerung, Europas und weltweit. Gegen den Strom zu schwimmen, war dagegen schon immer schwer und kann in manchen Krisenzeiten buchstäblich lebensgefährlich sein. Umso größere Hochachtung gebührt Ihnen von den NachDenkSeiten, Arno Luik, Daniela Dahn, Heribert Prantl, Albrecht Müller und den immer noch vielen Aufrechten eines demokratischen Journalismus.

An der Berichterstattung deutscher Medien zum Ukraine-Krieg scheinen Sie kein gutes Haar zu lassen.

Die Berichterstattung, die ich beobachte, ist nicht nur einseitig, sondern inzwischen ist sie auch regelrecht gefährlich, lebensgefährlich für die Interessen der hiesigen Bevölkerung, für deren legitimes Menschenrecht auf Leben. In anderen Ländern brauchen Pentagon und NATO noch Pressesprecher und Presseerklärungen – in Deutschland ist das nicht nötig. Der ÖRR von ARD und ZDF, Tagesschau, Tagesthemen, Heute-Journal sowie die meinungsbildenden Medien übernehmen diese Aufgabe gratis. Wenn man seit fast einem Jahr täglich mehr Nachrichten von ukrainischen Offiziellen zu hören bekommt als von allen Mitgliedern der eigenen deutschen Regierung zusammen, stimmt irgendetwas nicht. Und das ist nur die quantitative Seite. Auf qualitativer Seite ist dieser Journalismus eine Katastrophe und in seiner plumpen Einseitigkeit auch eine Verletzung des Rundfunkstaatsvertrags.

Der Spiegel hat seinen Lesern die Tage erklärt, „Was den Leopard 2 so besonders macht“. Was bewirken Beiträge dieser Art?

Ich halte die in einem Großteil der deutschen Medien, Politik und Wissenschaft (aber nicht in der Mehrheit der Bevölkerung!) vorherrschende Verniedlichung von Mordwerkzeugen (à la „unser Leo“, „lasst die Leoparden frei“, „freetheleopards“ usw.) für pervers. Es ekelt mich an.

Sie werden eigentlich nur noch getoppt vom Laptop-Leutnant Sascha Lobo, der Friedensbewegte als „Lumpen-Pazifisten“ bezeichnet. Und wenn der seit 1991 beinahe jeden völkerrechtswidrigen US-Angriffskrieg mit hunderttausenden Toten verteidigende Sänger Wolf Biermann die beiden Kritiker von Waffenlieferungen in Kriegsgebiete, Richard David Precht und Harald Welzer, als „Secondhand-Kriegsverbrecher“ bezeichnet; oder wenn der ukrainische Bandera-Botschafter und inzwischen Vize-Außenminister Melnyk Mitglieder des Bundestages und der Regierung mit Tiernamen und analen Körperöffnungen ohne Konsequenzen beschimpft, zeigt sich die Gefährlichkeit der Faschisierung bei selbst ernannten Demokraten.

Handelt es sich bei dem Krieg in der Ukraine auch um einen Stellvertreterkrieg?

Es ist ja leider nicht irgendein durchgeknallter „Dr. Strangelove“, der ständig fordert, „Russland zu ruinieren“, „Krieg gegen Russland“ zu führen und Waffen zu liefern, „egal was meine Wähler sagen“. Das sagt die oberste Diplomatin Deutschlands. Insofern ist die Frage bereits beantwortet.

In den USA ist der Proxy War (also Stellvertreterkrieg) ein selbstverständlicher Ansatz und die Dokumente der RAND Corporation und anderer Think Tanks für den militärisch-industriellen Komplex der USA beweisen das immer wieder.

RAND Corporation ist also eine Denkfabrik?

Genau, und ihre Papiere fungieren bisweilen als direkte Vorlagen für die US-Außenpolitik. So lieferte ihre Studie mit dem Titel „Overextending Russia“ zur Destabilisierung der Russischen Föderation, die 2019 veröffentlicht wurde, buchstäblich das Drehbuch für die folgenden Jahre (inklusive durchkalkulierte Kriegseskalationen in der Ukraine und andernorts – auch wenn sie das in ihrem aktualisierten Vorwort bescheiden dementieren).

Die Sinn- und Zweckbestimmungen der Minsker Verträge aus Sicht des damaligen französischen Präsidenten Hollande und der Ex-Bundeskanzlerin Merkel haben dies zuletzt nochmal unterstrichen. Statt einen Friedens- und Versöhnungsprozess von allen Seiten anzustoßen, dienten die immerhin vom UN-Sicherheitsrat beschlossenen Verträge den westlichen Regierungen anscheinend ausschließlich zur systematischen Aufrüstung der Kiewer Truppen, um die Bevölkerung im Donbas und auf der Krim zu „befreien“ resp. anzugreifen (diese „Befreiungsversuche“ der Kiewer „Antiterroroperation“ kosteten bekanntlich bereits vor dem 24. Februar 2022 laut UN-Angaben über 14.000 Menschen das Leben).

Erstaunlich finde ich im Moment, dass – z.B. im Unterschied zur Kuba-Krise 1962 – sehr viele ehemalige hochrangige NATO-Militärs für De-Eskalation werben und sehr viele nicht-militärisch (Aus-)Gebildete Eskalationen vorantreiben, deren Auswirkungen sie offensichtlich nicht überschauen (können).

Wie tief steckt Deutschland bzw. die NATO im Krieg?

Sagen wir mal so: Waffen liefern,  tausende Soldaten ausbilden (natürlich auch an diesen Waffen), einen der historisch brutalsten Wirtschaftskriege führen und davon plappern, dass man sich im „Krieg gegen Russland“ befindet. Wie viel mehr Kriegspartei wollen Deutschland und die NATO noch werden und für wie blöd halten die eigentlich Russland? Für mich noch bedenklicher sind die Ansichten des französischen Sozialwissenschaftlers Emmanuel Todd. Demnach geht dieser Krieg gar nicht nur gegen Russland, sondern explizit gegen Europa und besonders gegen die BRD (Nord-Stream-Anschlag, US-Einladungen nach Ramstein, protektionistisches US-Konjunkturprogramm etc.: Honi soit qui mal y pense). 

Wir müssen beim Ukrainekrieg wie ein durchschnittlicher TATORT-Kommissar vorgehen. Wem nützt es? Cui bono? Die USA sind 8.000 km entfernt vom Schauplatz, sie können endlich ihr umweltzerstörendes und überteuertes Frackinggas verkaufen, ihre Waffen sowieso, die Unternehmensabwanderungen von Europa nach Amerika werden systematisch vorangetrieben, Europa zerstört sich gerade selbst, sodass ein weiterer Konkurrent aus dem Spiel genommen werden kann für den Endkampf gegen China.

Nochmal zur RAND Corporation. Diese Denkfabrik hat ein Papier veröffentlicht, worin über die Beendigung des Krieges nachgedacht wird. Unter anderem heißt es:

„Ein anhaltender Konflikt lässt auch die Möglichkeit offen, dass Russland die im Herbst 2022 auf dem ukrainischen Schlachtfeld erzielten Erfolge wieder zunichte macht. (…) Kurz gesagt, die Folgen eines langen Krieges – von anhaltend erhöhten Eskalationsrisiken bis hin zu wirtschaftlichen Schäden – überwiegen bei weitem die möglichen Vorteile. (…) Wir kommen zu dem Schluss, dass neben der Abwendung einer möglichen Eskalation zu einem Russland-NATO-Krieg oder einem russischen Nukleareinsatz auch die Vermeidung eines langen Krieges für die Vereinigten Staaten eine höhere Priorität hat als die Ermöglichung von deutlich mehr ukrainischer Territorialkontrolle.“

Was bedeuten diese Zeilen?

Aus meiner Sicht ist das bemerkenswert. Im Unterschied zu den früheren Eskalationsplänen von 2019 hat nun eine neue Studie mit dem Titel „Avoiding a Long War“, einen langen Krieg in der Ukraine vermeiden, gezeigt, dass zumindest in Teilen der Washingtoner Eliten Überlegungen anfangen, dass man aus dem Stellvertreterkrieg in der Ukraine allmählich aussteigen sollte. Natürlich nur im US-Interesse. Auch das US-Ziel, die europäischen Länder von der russischen Energieversorgung abgeschnitten zu halten, benötige keine weitere Verlängerung des Krieges: „Es ist wahrscheinlich, dass die europäischen Länder diese Politik beibehalten, gleich, wie lange dieser Krieg dauert.“ (auf S. 9)

Interessant ist doch auch der nüchterne, technokratische Umgang mit einem Krieg, in dem vermutlich 200.000 und vielleicht mehr Soldaten verwundet oder ums Leben gekommen sind. Wir sehen eine ganz kaltblütige Abwägung. Bringt der Krieg Vorteile? Oder sind die Risiken für die USA größer? Das Leben der Soldaten (oder gar der Zivilisten) scheint dabei keine Rolle zu spielen, oder?

Selbstverständlich spielt das Leben der Soldaten und der Zivilisten keine Rolle, sonst würden die USA ja nicht offenbar schon wieder Uran-Munition liefern – zum Schaden der ukrainischen Umwelt, der Zivilbevölkerung, der Soldaten aller Seiten – auch der eigenen Söldner. Es wird halt gegengerechnet. Cui bono? USA (8.000 km entfernt vom Schauplatz, Frackinggas, Waffen, Unternehmensabwanderung, Europa zerstört sich gerade selbst) gegen Eskalationsgefahren, die auch US-Interessen betreffen könnten.

Ansonsten ist es in der Tat beeindruckend, wie präzise auch zum Beispiel die Kriegs- und Sanktionspolitik bilanziert wird: „Allein die Erhöhung der Energiekosten wird wahrscheinlich zu 150.000 zusätzlichen Todesfällen (4,8 Prozent über dem Durchschnitt) in Europa im Winter 2022/23 führen“ (RAND Corporation 2023, S. 10). Wenn es stimmt, was der ehemalige israelische Premierminister Bennett und andere Zeugen berichten, wurde dieser Krieg im März/April 2022 trotz bereits ausgearbeiteten Friedensplans auf westlichen Druck hin absichtlich nicht beendet. Demnach ist das Leben aller Zivilisten und Soldaten eigentlich egal.

Wenn nun die neuen RAND-Forderungen im Weißen Haus und im Pentagon überdacht werden, gibt es noch Hoffnung auf ein Ende des täglichen Massakers; vielleicht eine koreanische, zypriotische, kosovarische, israelisch-palästinensische, armenisch-aserbaidschanische, türkisch-syrische oder west-saharische Zwischenlösung könnte zumindest die Atomkriegs- und Weltkriegsgefahren reduzieren bzw. „einfrieren“.

Wir werden sehen. Vielleicht werden die mexikanischen, italienischen, brasilianischen, indischen, chinesischen, indonesischen oder südafrikanischen Friedensvorschläge wirksam (Die deutsche Diplomatie fällt ja bekanntlich aus – und das wäre für das Überleben der Menschheit wohl auch nicht die schlechteste Nachricht. Derweil könnte die Bundesaußenministerin beim Aachener Karneval mit ihrem Wunschkostüm „Leopard“ verkleidet dem vorherrschenden Mords-Humor frönen).

Wie sehen Sie das Verhalten der Gesellschaft? Müsste es nicht viel mehr Demonstrationen für eine Politik des Friedens geben?

Das wäre sehr wünschenswert. Aus meiner Sicht wären bei uns mindestens drei Dinge dringend geboten:

  1. Weiterhin militärunabhängige Friedens- und Konfliktforschung. Geduldige Aufklärung.
  2. Friedensdemonstrationen, die klar machen: NOT in our NAME! Die Außenministerin verletzt das Grundgesetz und ihren Amtseid. Die Bundesregierung bringt die deutsche Bevölkerung in Gefahr. Das ist nicht nur unangenehm, sondern verboten – unabhängig davon, ob die Nato- oder die russische Propaganda stimmt! Niemand hat etwas davon, wenn auf seinem/ihrem Grabstein steht: Er/Sie war im Recht. „Radio Rheinmetall“ ist nicht besser als „Radio Moskau“! Rüstungslobbyisten können keinen Frieden wollen.
  3. Juristische Klagen gegen Verletzungen des Rechtsstaates: Auch wenn bei ARD/ZDF-Nachrichten oder in ÖRR-Talk-Runden das Meinungsspektrum sich nur noch darin unterscheidet, ob die einen Panzer, die anderen Kampfschiffe, die nächsten Kampf-Bomber und die letzten auch einen Nato-Einmarsch mit deutschen Soldaten fordern, so ist dies nicht nur hinsichtlich des grundgesetzlichen Verbotes der Vorbereitung eines Angriffskrieges problematisch, sondern bereits viel früher eine Verletzung des Rundfunkstaatsvertrages, der zur Meinungsvielfalt und Pluralität verpflichtet (§ 25).

Titelbild: Mo Photography Berlin / Shutterstock