„Brandbrief“ an die SPD: Historiker biedern sich bei Militaristen an

„Brandbrief“ an die SPD: Historiker biedern sich bei Militaristen an

„Brandbrief“ an die SPD: Historiker biedern sich bei Militaristen an

Ein Artikel von: Tobias Riegel

Ein Offener Brief von prominenten Historikern wirft der SPD vor, „Russland in die Hände zu spielen“. Der Brief zeigt aber auch, dass es offenbar wachsende interne Unruhe bei der SPD gibt – und zwar nicht, weil der Kanzler zu „zögerlich“ sei, sondern weil viele Genossen die Kriegsrhetorik ablehnen. Zu „pazifistische“ Sozialdemokraten sollen nun mutmaßlich mit der Kraft der wissenschaftlichen Prominenz zur Ordnung gerufen werden. Für innere Widerstände in der SPD gegen die Kriegsrhetorik sprechen auch aktuelle Äußerungen des bald scheidenden SPD-Außenpolitikers Michael Roth. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

In einem „Brandbrief“ haben fünf Historiker um Heinrich August Winkler der SPD „Realitätsverweigerung” bezüglich Russland und Ukraine vorgeworfen, wie Medien berichten. Die Autoren sind SPD-Mitglieder, was nicht automatisch bedeutet, dass sie sich für sozialdemokratische Ideale einsetzen. Zu den einzelnen Autoren schreibt N-TV:

„Jan C. Behrends, Gabriele Lingelbach, Dirk Schumann, Heinrich-August Winkler und Martina Winkler sind allesamt Professoren und Professorinnen mit SPD-Parteibuch und großem Renommee. Behrends gehört auch dem Historikerforum der Partei an. Winkler zählt seit Jahrzehnten zu den bekanntesten Historikern der Bundesrepublik.“*

Der Brief an SPD-Parteivorstand und Kanzler klinge nach Abrechnung in Sachen Ukraine-Politik der SPD, so die Tagesschau. Die Wissenschaftler schreiben etwa: „Die Kommunikation des Kanzlers, der Partei und der Fraktionsspitzen in Fragen von Waffenlieferungen wird in der Öffentlichkeit zu Recht scharf kritisiert.“

Bereits diese Aussage ist fragwürdig, denn sie suggeriert, es gebe in „der Öffentlichkeit“ eine Stimmung für Waffenlieferungen – laut Umfragen ist aber das Gegenteil der Fall.

Hier handelt es sich also um den Kontrast zwischen „öffentlicher“ Meinung und „veröffentlichter“ Meinung. Diese beiden Phänomene trennt auch die Tagesschau nicht sauber, wenn sie schreibt: „Das Grummeln über den Kurs der Sozialdemokraten in Sachen Ukraine wird offenbar lauter und öffentlicher. Auch wenn der Kanzler die Debatte in Deutschland zuletzt als ‚lächerlich‘ und ‚peinlich‘ bezeichnet hatte.“ Peinlich finde ich, wenn Journalisten, Politiker und Wissenschaftler ihre eigene Meinung mit der „öffentlichen Meinung“ gleichsetzen, weil sie selber eine große Reichweite haben.

„Kanzler und Parteispitze (…) spielen Russland in die Hände“

In dem Brief heißt es auch:

Wenn Kanzler und Parteispitze rote Linien nicht etwa für Russland, sondern ausschließlich für die deutsche Politik ziehen, schwächen sie die deutsche Sicherheitspolitik nachhaltig und spielen Russland in die Hände.“

Das mit den „roten Linien“ beziehe sich auf die Replik des Bundeskanzlers auf die Äußerungen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zum Thema westliche Bodentruppen für die Ukraine. Ich finde, man muss Scholz eindeutig den Rücken dafür stärken, dass er in dieser Frage bisher so eindeutig ist:

Um es klipp und klar zu sagen: Als deutscher Bundeskanzler werde ich keine Soldaten in die Ukraine entsenden.“

Die ausbleibende Zustimmung zu den gefährlichen Vorschlägen Macrons wird von den Historikern jedoch so eingeordnet: „Jegliche Uneinigkeit und fehlende Abstimmung unter Verbündeten, schreiben die Professoren jetzt, werde Putin nur als Ermunterung verstehen.“ Wird hier indirekt „blinde Zustimmung“ zu allen Eskalationen gefordert, die jetzt irgendwo geäußert werden, weil sonst „Uneinigkeit“ offenbart würde? Warum unterstellen die Autoren nicht Macron fehlende Abstimmung und zusätzlich ein brandgefährliches Verhalten?

Die jüngsten wichtigen Stellungnahmen von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich zum Ukrainekrieg bezeichnen die Historiker als eine „fatale Äußerung“ und als einen „kurzsichtigen Friedensbegriff einiger Genossen“. Damit biedern sich die Historiker an jene Falken in Politik und Medien an, die Mützenich momentan angreifen, wie wir in den Artikeln „Mützenich – ziemlich allein, aber Spitze und dringend notwendig“ und „Alle Falken gegen Mützenich – Und keine Aussage ist zu infam“ geschrieben haben.

Die Autoren behaupten laut Medien in ihrem Brief, „in der SPD fehle eine ehrliche Aufarbeitung der Fehler ihrer Russland-Politik der vergangenen Jahrzehnte“. Wenn die Historiker dann die Politik etwa von Egon Bahr indirekt als einen solchen historischen „Fehler“ klassifizieren, dann zweifelt man endgültig an der Expertise der Wissenschaftler. Sie schreiben:

‘Vielmehr wird die Tradition der Außenpolitik Egons Bahrs nach wie vor unkritisch und romantisierend als Markenzeichen der SPD hochgehalten.’ Auf diese Weise mache sich die SPD unglaubwürdig und angreifbar.“  

Angreifbar macht sich die SPD meiner Meinung nach aber durch das Gegenteil: Nämlich indem sie sich von ihren wichtigen und guten Wurzeln abschneidet, um einer „veröffentlichten Meinung“ zu gefallen. Denn die „öffentliche Meinung“ (etwa in Form von Wählern) goutiert einen Opportunismus gegenüber Kriegstreibern und offensichtlichen US-Interessen mutmaßlich mehrheitlich nicht.

Die SPD betreibe „Realitätsverweigerung“

Zur „Zeitenwende“ schreiben die Autoren: „Eine echte Zeitenwende würde vor allem eines erfordern: Das Verständnis dafür, dass Russland bereits seit vielen Jahren einen hybriden Krieg gegen Europa führt und seit Beginn der Vollinvasion den Plan verfolgt, die Ukraine zu zerstören.“ Die SPD, so schreiben die fünf Sozialdemokraten, betreibe „Realitätsverweigerung“.

Diese Verweigerung würde ich aber eher den Autoren unterstellen – denn der Ukrainekrieg hat sich lange angekündigt und er hätte von westlicher Seite leicht verhindert werden können. Das momentan von vielen Seiten betriebene Vernebeln der Tatsache, dass der Ukrainekrieg bereits 2014 damit begonnen hat, dass Kiew eine „Anti-Terror-Operation“ gegen die Bürger im Donbas gestartet hat, der tausende Zivilisten zum Opfer gefallen sind, würde ich als klar unhistorisch bezeichnen.

In diesem Zusammenhang soll an einen anderen Offenen Brief erinnert werden, in dem bereits 2014 prominente Unterzeichner wie Horst Teltschik (CDU), Walther Stützle (SPD) und Antje Vollmer (Grüne) eindringlich vor einer fortgesetzten Konfrontation gegenüber Russland und der Ignoranz berechtigter Sicherheitsinteressen des Landes gewarnt haben, wie wir im Artikel „2014: Die Vorhersage des heutigen Ukrainekriegs“ thematisiert haben. In dem Brief schrieben die Autoren bereits 2014(!):

Die deutsche Regierung geht keinen Sonderweg, wenn sie in dieser verfahrenen Situation auch weiterhin zur Besonnenheit und zum Dialog mit Russland aufruft. Das Sicherheitsbedürfnis der Russen ist so legitim und ausgeprägt wie das der Deutschen, der Polen, der Balten und der Ukrainer. (…) Wir dürfen Russland nicht aus Europa hinausdrängen. Das wäre unhistorisch, unvernünftig und gefährlich für den Frieden.

Michael Roth: Stimmung „wie im Kühlschrank“

Der aktuelle Offene Brief fällt zusammen mit der Ankündigung des SPD-Außenpolitikers Michael Roth, sich nach der kommenden Bundestagswahl aus der Politik zurückzuziehen, wie Medien berichten. Roth, der immer wieder auf mehr Waffen für die Ukraine drängte, hatte erklärt, sein früher Einsatz für die Ukraine habe in der SPD nicht allen gefallen.

In seiner Partei gebe es Spannungen in der Frage von Krieg und Frieden: „Wenn die Tür zum Fraktionssaal aufging, hatte ich zuletzt den Eindruck, ich steige in einen Kühlschrank“, so Roth. Die Frage von Krieg und Frieden habe in der SPD für eine neue Härte gesorgt. „Mein früher Einsatz für die Ukraine gefiel nicht allen. Und als ich kurz nach Kriegsausbruch in das Land reiste, grüßten mich manche in der Fraktion nicht einmal mehr.“

„Wir appellieren an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages,(…) über die Friedenspflicht der Bundesregierung zu wachen“

Hier noch ein Zitat aus dem Brief von 2014, das noch immer volle Gültigkeit hat:

Wir appellieren an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, als vom Volk beauftragte Politiker, dem Ernst der Situation gerecht zu werden und aufmerksam auch über die Friedenspflicht der Bundesregierung zu wachen. Wer nur Feindbilder aufbaut und mit einseitigen Schuldzuweisungen hantiert, verschärft die Spannungen in einer Zeit, in der die Signale auf Entspannung stehen müssten.

Diese Aufforderung von 2014 wurde von interessierten Journalisten, Politikern und Wissenschaftlern in einer gefährlichen Weise ignoriert oder gar torpediert. Die Darstellung der Autoren des aktuellen Offenen Briefes, zu wenig Härte gegenüber Russland habe zum Ukrainekrieg geführt, ist einfach falsch: Eine kluge Diplomatie hätte den Krieg und tausende Tote verhindern können – und zwar ohne dass daraus eine „Unterwerfung“ unter Russland oder eine „Ermutigung zum Imperialismus“ für Präsident Wladimir Putin entstanden wäre. Ein heutiges Eintreten gegen einen Waffenstillstand in der Ukraine empfinde ich als höchst unmoralisch.

Das Positive an dem aktuellen Brief der Historiker ist: Er ist ein Zeichen dafür, dass es in der SPD Unruhe gibt, die nun mit dieser öffentlichen Belehrung durch prominente Wissenschaftler mit SPD-Mitgliedschaft abgewehrt werden soll. Das macht mir Hoffnung, dass sich die sozialdemokratische Basis (endlich!) ihrer Wurzeln besinnt und die momentane unhistorische Kriegsrhetorik ihre Wirkung teilweise verliert.

Leserbriefe zu diesem Beitrag finden Sie hier.

*Aktualisierung 28.3.2024, 12:50: Dieser Absatz wurde hinzugefügt.

Titelbild: Kastoluza / Shutterstock

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!