Interview mit Michael Lüders: Wie der Westen Israels Angriffe auf sieben Länder unterstützt

Ein Artikel von Michael Holmes

Michael Lüders hat Politik und Islamwissenschaften in Berlin und Damaskus studiert, war viele Jahre Nahost-Korrespondent für Die Zeit und gehört heute dem erweiterten Vorstand des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) an. Im Interview spricht er über sein neues Buch „Drecksarbeit: Israel, Amerika und der imperiale Größenwahn“ – und über Israels Angriffskriege gegen den Iran, Palästina, Syrien, Libanon, den Irak, Jemen und Katar. Lüders erklärt, wie Israel und die USA mit Kriegen, Sanktionen und Regimewechseln ihre Macht in der Region sichern, warum Deutschland diese Politik stützt und welche Folgen ein neuer Krieg gegen den Iran hätte – für die gesamte Region und weit darüber hinaus. Das Gespräch führte Michael Holmes.



Michael Holmes: Herr Lüders, heute sprechen wir über Ihr neues Buch. Es heißt „Drecksarbeit: Israel, Amerika und der imperiale Größenwahn“. Es geht auch viel um Deutschland und Israel – und nicht nur um Gaza und Palästina, sondern um die ganze Region und darum, was Israel dort macht.

Ich muss Sie zunächst aber trotzdem zu den jüngsten Ereignissen fragen, nämlich dem Waffenstillstand in Gaza. Danach kommen wir dann zu Iran, Libanon, Syrien, Jemen, Katar und vielleicht auch der Westbank, die gerne vergessen wird. Zunächst, was halten Sie von diesem Waffenstillstand in Gaza? Ist das ein Grund zur Hoffnung?

Michael Lüders: Also zunächst einmal hallo. Ich freue mich, heute den NachDenkSeiten zur Verfügung stehen zu dürfen. Die NachDenkSeiten gehören zu den wenigen Medienorganen, die man in Deutschland noch ernst nehmen kann, weil hier Themen auch angesprochen werden, die andernorts totgeschwiegen werden. Insofern, vielen Dank für die Einladung.

Danke für das Kompliment.

Nun also zu Ihrer Frage, Herr Holmes. Der Waffenstillstand – grundsätzlich ist es natürlich gut, wenn die Waffen schweigen und wenn Menschen nicht getötet werden. Allerdings sterben sie ja im Gazastreifen auch weiterhin. Der Trick der israelischen Regierung ist, dass man sozusagen Low-Profile-Killings macht, also unterhalb der Wahrnehmungsschwelle, zumindest in den hiesigen Medien. Allein in den ersten acht Tagen nach Verkündigung dieser Waffenpause sind mehr als 120 Palästinenser im Gazastreifen von israelischer Seite getötet worden. Dieser Waffenstillstand ist ein brüchiger. Wie gesagt: Dass die Waffen schweigen, ist für sich genommen eine gute Sache. Daran gibt es jetzt nichts auszusetzen. Aber der Friedensplan von Donald Trump sieht ja nicht vor, ein Fahrplan zu sein mit Blick auf die Gründung eines palästinensischen Staates, sondern es ist im Grunde genommen der Versuch, ein Protektorat zu errichten unter amerikanischer Aufsicht, unter Einbeziehung regionaler Staaten, wenn das gelingt. Aber es ist nirgendwo die Perspektive gegeben für einen palästinensischen Staat.

Der erste Schritt ist gelungen. Die Geiseln sind alle freigelassen worden, aber alles andere, wenn man sich diesen 20-Punkte-Plan von Donald Trump durchliest, ist dermaßen vage und oberflächlich formuliert, dass man alles hinein- und hinausinterpretieren kann. Ich vermute, dass die Regierung Netanjahu auf Zeit spielen wird, um dann eher früher als später den Krieg wieder aufzunehmen mit dem Argument, ja, man sei ja bereit zum Frieden, aber die Hamas halte an ihren terroristischen Methoden fest. Das Grundproblem ist, dass sich nichts verändert hat in den Formulierungen, und am Ende wird dieser Krieg weitergehen. Das Ziel der israelischen Regierung bleibt bestehen. Perspektivisch sollen die Palästinenser, zumindest die aus dem Gazastreifen, aber auch die aus dem Westjordanland, vertrieben werden.

Ja, Sie zeigen auch in Ihrem neuen Buch noch einmal, Sie tragen noch mal die Belege zusammen, warum Sie glauben, es handelt sich hier um einen Völkermord. Das ist auch sehr überzeugend. Aber wir möchten heute ein bisschen auf die anderen Länder gucken, die von Israels Größenwahn und der westlichen Unterstützung für Israel betroffen sind.

Allen voran und im Zentrum dieses Geschehens ist der Iran. Können Sie da auch ein bisschen in die Geschichte dieser Feindschaft zurückgehen, die auch nicht immer eine Feindschaft war, wie Sie zeigen, zwischen Israel, den USA und dem Iran? Wie sind wir dahin gekommen, wo wir heute sind? Und was steht da eventuell zu befürchten?

In meinem Buch „Drecksarbeit“ widme ich in der Tat viel Raum den Verhältnissen im Iran, die natürlich schwierig sind. Daran gibt es nichts zu beschönigen. Es ist ein repressives politisches System, und viele Iraner wünschen sich Veränderung. Allerdings hat dieser Krieg, den es im Juni gegeben hat, dieser Zwölf-Tage-Krieg, der gemeinsame Angriff zunächst Israels, dann der USA auf den Iran, nicht dazu beigetragen, das dortige politische System zu schwächen, sondern im Gegenteil, es hat eigentlich eher dessen Resilienz gestärkt. Denn natürlich fürchten viele Iraner, dass der nächste Krieg, der nächste Angriff auf den Iran nur eine Frage der Zeit ist – nicht das Ob, sondern des Wann. Diese Sorge lässt natürlich die Kritik auch erst einmal verstummen, zumal sich die Frage stellt im Iran: Was ist die Alternative zum Status quo, zu den bestehenden Verhältnissen? Will man wirklich einen Regimewechsel, wie das den Amerikanern, den Israelis vorschwebt? In dem Fall könnte der Iran einen Weg gehen wie der Irak oder Afghanistan. Das sind zwei abschreckende Beispiele in unmittelbarer Nachbarschaft Irans.

Also ich denke, dass dieser Krieg die bestehenden Verhältnisse im Iran gefestigt hat und nicht etwa das Regime als solches erschüttert hat. Diese Feindschaft ist nicht naturgegeben. Es hat auch nichts zu tun mit religiösen Motiven, sondern es ist hier im Grunde genommen ein hegemonialer Konflikt seit der Islamischen Revolution 1979, die ja, wenn man so will, eine verspätete Antwort war auf einen ganz anderen historischen Zusammenhang, nämlich den Sturz des demokratisch gewählten iranischen Ministerpräsidenten Mohammed Mossadegh 1953. Er wurde gestürzt in einem gemeinsamen Putsch von CIA und dem britischen Auslandsgeheimdienst MI6. Warum? Weil Mohammed Mossadegh die Dreistigkeit besessen hatte, die iranische Erdölindustrie zu verstaatlichen und damit englischen Geschäftsinteressen zu schaden.

Der gemeinsame Putsch erfolgte 1953, der Schah übernahm die Macht, der dann bis zu seinem Sturz 1979 an selbiger blieb, allerdings ohne Rückendeckung in der Bevölkerung. Allein CIA und MI6 halfen ihm und der sehr dünnen iranischen Oberschicht, an der Macht zu bleiben. Diese Machtbasis war aber zu dünn. Zu jener Zeit war der Iran sehr prowestlich unter dem Schah. Dann kam die Revolution, die im Grunde genommen eine späte Antwort auf den Putsch von 1953 war. Seither ist der Iran das am meisten verhasste politische System in der Region. Das System, ja, das Regime ist ja auch sehr brutal gewesen in der Vergangenheit und zum Teil bis heute hin. Die Hinrichtungsquoten im Iran heute sind die höchsten der Welt. Es sind Zehntausende, wenn nicht noch mehr Oppositionelle und Gegner der Chomeini-Revolution, der Islamischen Revolution, die ja zunächst ein großer Volksaufstand war, getötet, hingerichtet worden. Also, das war schon und ist ein sehr fragwürdiges politisches System, das aber ungeachtet aller Versuche aus dem Ausland, es zu destabilisieren, sich doch als sehr widerstandsfähig erwiesen hat und immer wieder die Kurve bekommen hat mit Blick auf das eigene Überleben.

Es gibt viele Geschichten, die ich auch erzähle in meinem Buch „Drecksarbeit“, die heute wirklich unglaublich anmuten, zum Beispiel die enge Zusammenarbeit Israels und Irans während des irakisch-iranischen Krieges, als iranische Revolutionsgardisten und israelische Soldaten – ja, ich will nicht sagen herzinniglich, aber doch eng zusammenarbeiteten, vor allem auf dem Flughafen in Zypern, in Larnaka, wo amerikanische Waffen dann über den Umweg Israel an den Iran ausgehändigt wurden zur Kriegführung gegen Saddam Hussein, der das Land 1980 überfallen hatte.

1988 endete der Krieg. Über eine Million Menschen waren gestorben, für nichts und wieder nichts. Die amerikanische Politik war sehr halbherzig. Man unterstützte natürlich beide Seiten mit Waffen, und aus israelischer Sicht war eigentlich der Iran das bevorzugte Regime, weil man sich gesagt hat: Ach, na ja, das mit Khomeini, das überlebt sich irgendwann. Wir wollen weiterhin gute Beziehungen unterhalten zum Iran wie zu Zeiten des Schahs.

Das änderte sich erst, nachdem Saddam Hussein durch seine Besetzung Kuwaits 1990 in Ungnade fiel. Da verschärfte sich der Ton Israels gegenüber dem Iran, und der Iran wurde zum großen Schurken – auch deswegen, weil er geholfen hat, die libanesische Hisbollah, die Partei Gottes, eine schiitische Miliz im Südlibanon, aufzubauen und zu bewaffnen. Man sah dann in Israel im Iran einen großen geostrategischen Feind, und in der Tat ist das ja auch so. Der Iran ist heute das letzte verbliebene Land im weiten Raum zwischen Atlantik im Westen und Indien im Osten, das geopolitisch Israels hegemonialen Ansprüchen und den hegemonialen Ansprüchen der USA widersteht.

Nochmal kurz zurück zum Iran-Irak-Krieg, weil ich glaube, das wissen sehr wenige Menschen. Das ist sehr interessant. Während des Iran-Irak-Krieges hatte die iranische Führung schon diese Rhetorik gegen Israel und gegen die USA aufgrund der Geschichte mit beiden Ländern. Aber auf beiden Seiten, Iran und Israel, hat die pragmatische Geopolitik gesiegt über diese Ideologie, und sie hatten sozusagen eine geheime Allianz, die aber sehr stark und sehr bedeutend war. Das heißt, Israel und der Iran haben zusammen gegen den Irak Stellung bezogen und das gegenüber ihren eigenen Bevölkerungen so weit wie möglich geheim gehalten. Ist das richtig?

Genauso ist es. Diese Zusammenarbeit hat man natürlich nicht an die große Glocke gehängt. Das wäre ja auch peinlich. Aus heutiger Sicht ist ja der Iran aus israelischer Sicht das Grundübel für alle Probleme in der Region offiziell. Auch hiesige Medien übernehmen das israelische Narrativ, demzufolge Hamas und Hisbollah beide aus Teheran ferngesteuert würden, und insoweit sei das Mullah-Regime, wie es heißt, auch verantwortlich für den Großangriff der Hamas am 7. Oktober 2023.

Aber damals war es so in den 1980er-Jahren, während des Irak-Iran-Krieges, dass israelische Militärberater sich die ganze Zeit über in der Nähe von Teheran aufhielten und die iranische Armee dabei unterstützt haben, den Krieg gegen den Irak zu führen, der ein für den Iran sehr verlustreicher Krieg war, der fast ausschließlich auf iranischem Boden ausgetragen wurde. Das erklärt wiederum, warum dann später die iranische Führung die Idee hatte, mit der Achse des Widerstandes, also pro-iranische schiitische Milizen in der arabischen Welt aufzubauen, zu unterstützen mit dem Ziel, für den Fall eines weiteren Krieges den Iran nicht zum alleinigen Schlachtfeld werden zu lassen.

Diese Strategie ist letztendlich gescheitert, weil als Reaktion auf den 7. Oktober hat ja Israel bekanntlich nicht allein die Hamas und den Gazastreifen massiv angegriffen, sondern auch zunächst den Südlibanon, um die Hisbollah zu schwächen, und das auch durchaus mit Erfolg. Schließlich griff man den Iran an. Also, es war sozusagen ein Rausch, ein politischer Rausch, den man in Israel beobachten konnte und noch immer kann – dieser Rausch nämlich, zu glauben, man könnte alle Widersacher in der Region militärisch niederkartätschen, um dem eigenen Ziel, die einzig relevante Hegemonialmacht in der Region zu sein, näherzukommen und damit das eigene Großisrael-Projekt zu vollenden, nämlich das gesamte historische Palästina sich einzuverleiben.

Das alles ist jetzt ein bisschen ins Rutschen geraten, weil die Regierung Trump, weil vor allem Donald Trump selbst den Israelis signalisiert hat: Es gibt hier eine Grenze, denn wir, die Amerikaner, und ich als Donald Trump, wir haben Geschäftsinteressen und geostrategische Interessen in der Region. Wir sind zwar mit euch der Meinung, dass wir den Iran schwächen wollen, aber wir wollen nicht riskieren, dass darüber nun die Beziehungen zu den Golfstaaten Schaden nehmen.

Also das Narrativ in Israel, in den USA und auch in Europa geht etwa so: Der Iran ist die Wurzel allen Übels im Nahen Osten und hat seine Tentakel im Libanon, im Jemen, in Syrien, im Irak. Da ist ein bisschen Kernwahrheit drin, weil der Iran seine Stellvertreterarmeen in den verschiedenen Ländern tatsächlich unterstützt. Was Sie in Ihrem Buch zeigen, ist, dass das alles aus Sicht des Iran im Grunde genommen eine Defensivstrategie ist und dass diese sogenannten Stellvertreterarmeen – also die Hisbollah, die Huthi und die schiitischen Milizen im Irak – sehr viel Eigenständigkeit haben; in unterschiedlichem Ausmaß auch, dass die Unterstützung des Iran mehr oder weniger wichtig ist in den verschiedenen Ländern; dass sie aber alle entstanden sind aus einer realen Unterdrückung der Bevölkerung, deswegen viel Rückhalt haben in der Bevölkerung – verschiedene Formen der Unterdrückung, nicht nur durch Israel und die USA, sondern auch durch Saudi-Arabien und verschiedene andere imperiale und regionale Mächte.

Jetzt würde ich das gerne ein bisschen durchgehen. Erst noch mal zurück zum Iran, denn Sie versuchen, sehr ausführlich zu zeigen, dass der Iran im Grunde genommen schon seit vielen Jahren immer wieder seriöse diplomatische Offerten gefahren hat und zum Teil sehr weitgehende Friedensangebote an Israel und die USA und den weiteren Westen unterbreitet hat. Der Westen hat das eigentlich fast vollständig ignoriert, mit der großen Ausnahme natürlich des Atomdeals unter Obama. Können Sie das ein bisschen ausführen? In Ihrer Darstellung ist der Iran in diesem ganzen Spiel weniger der Aggressor als eine Defensivmacht, die natürlich auch Unrecht begeht, nicht nur im Inneren des Landes, sondern auch außerhalb seiner Grenzen, aber in vieler Hinsicht reagiert.

Ja, genauso ist es. Es ist natürlich so: Wenn man geopolitische Zusammenhänge versucht zu ergründen, dann muss man sich verabschieden von einer Weltsicht, wie sie bei uns vorherrschend ist in vielerlei Hinsicht, nämlich die Welt zu unterscheiden in Gut und Böse, wobei wir, die Westler, wenn ich es so verallgemeinernd sagen darf, grundsätzlich zu den Guten rechnen, weil wir ja für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte stehen, und die anderen, das sind eben dann die Bösen. Das ist die autoritäre Bedrohung für die demokratischen Staaten.

Zu den Schurken dieser Welt, den ‚Bad Guys‘, zählt man im Westen ja schon seit Jahrzehnten den Iran. Das Narrativ ist überaus simpel, und jede Differenzierung unterbleibt weitgehend. Das ist bedauerlich, denn es ist in der Tat so, dass alle iranischen Präsidenten, angefangen mit dem ersten, Rafsandschani, immer versucht haben, sich mit den USA ins Benehmen zu setzen.

Selbst Mahmud Ahmadinedschad, an den sich der eine oder andere vielleicht noch erinnert, der in den 2000er-Jahren durch seine antiisraelischen Ausfälle berühmt-berüchtigt geworden ist – selbst er hat in einem persönlichen, handgeschriebenen Brief an George W. Bush versucht, die Beziehungen zwischen den Ländern zu normalisieren, zwischen dem Iran und den USA, bei allem Misstrauen gegenüber der Weltmacht. Aber all diese Versuche sind ins Leere gelaufen. Das hängt wahrscheinlich auch damit zusammen, dass imperiale Mächte nicht bemüht sind, sich mit potenziellen Widersachern ins Benehmen zu setzen und deren legitime Interessen, ob sie einem jetzt gefallen oder nicht, anzuerkennen; sondern man versucht im Grunde genommen, Widersacher niederzukartätschen und idealerweise, was den Iran betrifft, einen Regimewechsel herbeizuführen.

Deswegen sind all diese Versuche der iranischen Seite ins Leere gelaufen, mit fatalen Folgen auch für die innenpolitischen Verhältnisse. Die Boykottmaßnahmen sollten ja das Regime schwächen. Es gibt so diese Wahnvorstellungen in westlichen Hauptstädten: Wenn man die Lebensbedingungen von Menschen nur katastrophal genug gestaltet, dann erheben sie sich gegenüber der eigenen Regierung. So hatte man gedacht mit Blick auf Saddam Hussein. Die furchtbaren Sanktionen gegenüber dem Irak von 1990 bis 2003 haben Hunderttausende von Irakern das Leben gekostet infolge insbesondere fehlender Ernährung und medikamentöser und medizinischer Versorgung.

So hat man auch im Gazastreifen geglaubt, dass die Menschen sich gegen die Hamas erheben würden, und so glaubt man das im Iran auch. Das ist allerdings eine Fehlkalkulation. Was geschehen ist, ist Folgendes: Die Mittelschichten im Iran sind durch diese ganzen Boykottmaßnahmen, die es seit 1979 gibt, die aber in den Jahren seit Trumps erster Amtszeit immens, exponentiell zugenommen haben – der Iran ist heute das am meisten sanktionierte Land weltweit. Allein seit der ersten Amtszeit von Donald Trump sind 1.500 neue Sanktionsbestimmungen hinzugekommen in Richtung Iran.

Das Ergebnis war, dass natürlich die iranische Wirtschaft unter Druck geraten ist, dass die Inflation angezogen hat und die Mittelschichten, die es gab im Iran, auf diese Art und Weise in weiten Teilen in die Verarmung getrieben worden sind. Das kann man leicht nachvollziehen. Nur mal als Beispiel: Wenn man jetzt, sagen wir, als Lehrer in Deutschland 1.000 Euro verdient als Festgehalt und dann gibt es eine Inflationsrate von 120 Prozent, dann kann man sich ausrechnen, was man mit diesen 1.000 Euro noch alles anstellen kann nach zwei, drei Jahren. Das ist auch ein großes Problem im Iran.

Für die Menschen ist das Überleben sehr, sehr schwierig geworden, und das gelingt vielfach vor allem deswegen, weil die solidarischen Familien-und regionalen Beziehungen so ausgeprägt sind, dass man einander doch hilft und unter die Arme greift. Es ist nicht gelungen, den Iran wirklich in die Knie zu zwingen politisch, sondern im Gegenteil, der Iran hat sich mehr und mehr vor allem an Russland und China angenähert, und diese drei Länder bilden mittlerweile doch eine – bei allen Gegensätzlichkeiten – stabile Allianz mit dem Ergebnis, dass an einen Regimewechsel im Iran eigentlich nicht wirklich zu denken ist. Jedenfalls wird er nicht herbeigeführt werden durch eine Intervention von außen.

Das, was man häufig hört, also 80 Prozent der Bevölkerung im Iran seien gegen das Regime – das ist sicherlich nicht falsch, oder zumindest kann man nicht belegen, dass es falsch wäre. Aber Unzufriedenheit, und sei sie noch so groß, ist nicht zu verwechseln mit einer revolutionären Stimmung. Es gibt im Augenblick jedenfalls keinerlei Hinweise darauf, dass es im Iran eine politische oder gesellschaftliche Kraft geben könnte, die das bestehende System aushebelt.

Stattdessen muss das bestehende System versuchen, weltoffener zu werden, toleranter zu werden. Möglicherweise gelingt das auch. Der Revolutionsführer Chamenei ist ja nun schon hochbetagt, 86, und es gibt viele Hinweise darauf, dass der Iran sich transformieren könnte von einem religiös orientierten Staat, zumindest nach außen hin, in Richtung auf eine nationalistische, autoritäre Struktur, vergleichbar vielleicht den Verhältnissen in Pakistan. Das ist ja auch eine Islamische Republik, aber nur dem Namen nach. De facto hat das Militär das Sagen, und eine solche Entwicklung könnte es auch im Iran geben mit Blick auf die Revolutionsgarde, die der entscheidende Machtfaktor ist innerhalb des politischen Systems.

Nun, unsere Falken im Westen, auch in Deutschland, USA, Israel, warnen eindringlich davor, dass, wenn der Iran an Atomwaffen gelangt – und sie behaupten, dass er auf dem Weg dazu ist –, dann könnte es einen zweiten Holocaust geben. Also, der Iran wird dann Israel auslöschen mit Atomwaffen, weil sein Ziel ist, das jüdische Volk auszulöschen, zu vernichten, weil er angetrieben sei von einem fanatischen Antisemitismus. Und das soll dann die Angriffe auf den Iran rechtfertigen. Was sagen Sie dazu?

Na ja, es gab ja über Jahre hinweg seit Beginn der 2000er-Jahre, seit 2002, Atomverhandlungen mit dem Iran. Die waren sehr langwierig und schwierig, und schließlich dann im Jahr 2015, unter der Ägide von Barack Obama, gab es dann das Atomabkommen mit dem Iran, mitgetragen von der Europäischen Union und den drei maßgeblich an den Verhandlungen beteiligten europäischen Staaten: Großbritannien, Frankreich und Deutschland.

Die Internationale Atomenergiebehörde in Wien hat die Einhaltung dieses Atomabkommens aus dem Jahr 2015 bis zur einseitigen Aufkündigung dieser Vereinbarung durch Donald Trump in seiner ersten Amtszeit drei Jahre später, 2018, regelmäßig überprüft und hat in insgesamt 22 Berichten festgehalten, dass sich der Iran an alle Auflagen des Atomabkommens halte. Man muss sich vor Augen führen, dass die Internationale Atombehörde Zugang hatte, jederzeit, egal wo im Iran, zu prüfen, ob der Iran was anreichert und wenn ja, in welcher Größenordnung. Das Ganze lief natürlich auch durchaus auf Spionage hinaus, was im Iran großes Unbehagen ausgelöst hatte. Aber jedenfalls bis 2018 hatte der Iran sich an alle Vereinbarungen gehalten.

Danach sind die USA ausgestiegen, haben einseitig diesen Vertrag gekündigt, was völkerrechtlich gesehen eigentlich so gar nicht möglich wäre. Aber egal. Nur von dem Moment an hat sich der Iran auch nicht mehr an das Atomabkommen gebunden gefühlt. Es gab zwar weiterhin Kontrollen usw. Also, der Iran hat nie alle Fäden abgerissen zur Atomenergiebehörde, aber die Botschaft war ganz klar: Es gibt nichts mehr, woran wir uns orientieren können. Deswegen ist der häufig zu vernehmende Vorwurf, der Iran würde sich nicht an das Atomabkommen halten, in der Sache deswegen absurd, weil es das seit 2018 nicht mehr gibt.

Der Trick der Iraner war, dass sie nach der Aufkündigung die Anreicherung von Uran hochgefahren haben, langsam aber sicher immer mehr hochgefahren haben. Heute hat der Iran angereichertes Uran in der Größenordnung von über 60 Prozent. Das gilt Kritikern des Iran als Hinweis darauf, dass der Iran heimlich nach einer Atombombe greifen würde. Das ist zumindest die vorherrschende Interpretation.

Allerdings wissen wir aus den Berichten der amerikanischen Geheimdienste – es gibt 18 –, und die legen einmal im Jahr einen Bericht vor über die internationale Bedrohungslage aus amerikanischer Sicht; und all diese Berichte haben immer wieder bestätigt, zuletzt im März 2025, dass der Iran nicht an einer Atombombe arbeite, danach auch nicht strebe. Das wurde auch im Kongress vorgetragen in Washington, und die Reaktion von Donald Trump darauf war, zu sagen: Es ist mir egal, was diese Leute sagen.

Also, es gibt keinen Hinweis darauf, dass der Iran nach der Atombombe greift, und die Anreicherung, die langsam, aber sicher hochgefahren wurde, war im Grunde genommen ein Verhandlungschip, ein Pokereinsatz, wenn man so will. Die Botschaft des Irans lautete immer: Wir sind bereit, über alles zu verhandeln, aber wir wollen eine Gegenleistung, nämlich zumindest die teilweise Aufhebung der Sanktionen. Die amerikanische Seite war dazu aber nicht bereit, hat im Gegenzug sogar noch mehr Sanktionen verhängt. Insgesamt gibt es heute mehr als 3.000, die greifen mit Blick auf den Iran.

Diese Strategie oder diese Hoffnung des Irans, durch diese Anreicherungsgeschichte einen Verhandlungsdruck aufbauen zu können, hat sich leider als Illusion erwiesen, weil die andere Seite, also sprich die USA, nicht gewillt waren, sich darauf einzulassen. Diese Atomverhandlungen sind – nun kann man sagen, einerseits verständlich, der Iran darf keine Atombombe besitzen. Okay. Man fragt sich allerdings, warum dann umgekehrt Israel dieses darf, denn ideal wäre ein atomwaffenfreier Naher Osten. Davon sind wir weit entfernt. Es wird auch hier mit zweierlei Maß gemessen.

Um es etwas zugespitzt zu formulieren: Warum nicht existierende Atombomben in den Händen, wie es heißt, fanatischer Mullahs gefährlicher sein sollen als real existierende Atombomben in den Händen israelischer Rechtsextremisten – diese Logik erschließt sich nicht ganz, wenn man die Sache nüchtern betrachtet. Aber nichtsdestotrotz, das ist nun mal jetzt die Gefechtslage.

Im Juni kam dann der israelische Angriff auf den Iran, unterstützt von den USA, und nun behaupten die Amerikaner, es gäbe keine Atomanlagen mehr, die geeignet wären, eine Atombombe herzustellen. Experten bezweifeln das. Genaueres wissen wir nicht, weil es natürlich keine unabhängigen Untersuchungen gibt. Wahrscheinlich ist die Urananreicherung zurückgeworfen worden, auch durch die Ermordung führender Atomwissenschaftler im Iran. Aber nichtsdestotrotz: Der Iran wird nicht davon ablassen, die Atomenergie zu nutzen.

Die USA wie auch Israel verlangen, dass dem Iran auch die friedliche Nutzung der Atomenergie nicht gestattet sei. Das ist ein völkerrechtlich absurdes Anliegen. Aber, tja, wenn man über die Macht verfügt, kann man natürlich auch die Spielregeln bestimmen. Die meisten Iraner glauben, dass der nächste Angriff auf den Iran nicht eine Frage des Ob, sondern des Wann ist. Wahrscheinlich ist diese Einschätzung auch durchaus realistisch.

Sie warnen auch im Buch eindrücklich vor so einem Krieg, weil er eine ganz andere Größenordnung hätte als alles, was wir in den letzten Jahren gesehen haben. Der Iran ist größer, bevölkerungsreicher und auch mächtiger, als der Irak war, zum Beispiel während des Irakkrieges.

Ja.

Dann gehen wir ein bisschen die Länder durch, die hier eine große Rolle spielen. Was Sie zeigen, ist, dass sehr viele Kriege in der Region und sehr viele Aktionen Israels und der USA sich daraus erklären, aus diesen realen oder zum Teil auch eingebildeten Stellvertreterkriegen zwischen dem Westen und dem Iran und seinen Verbündeten, aber auch den arabischen Staaten, den Golfstaaten allen voran, und dem Iran. Am wichtigsten ist hier vielleicht der Libanon. Ist die Hisbollah eine iranische Marionette? Warum gibt es die Hisbollah überhaupt?

Die Hisbollah ist genauso wie die Hamas entstanden als Reaktion auf israelische Besatzung. 1982 sind die Israelis in den Libanon einmarschiert, sind vorgedrungen bis nach Beirut. Das Ziel war damals, die PLO aus dem Libanon zu vertreiben, was auch geschehen ist. Jassir Arafat und seine Kämpfer mussten das Land verlassen. Letztere wurden auf verschiedene arabische Länder verteilt, und Jassir Arafat nahm zunächst einmal Zuflucht in Tunesien, also weit weg vom Schuss im wahrsten Sinne des Wortes.

Aber gleichzeitig übten die Israelis eine brutale Besatzung aus, und das Ergebnis war, dass sich dann der schiitische Widerstand im Süden des Libanon gegen die israelischen Besatzer formierte. Aus diesem schiitischen Widerstand heraus erwuchs dann die Hisbollah, und die ist in der Tat und wird bis heute vom Iran militärisch, politisch und finanziell unterstützt. Die Hisbollah selbst erkennt den Revolutionsführer im Iran als ihren obersten Führer an, hat selbst keine schiitische Geistlichkeit, die sie ins Feld führen würde in Konkurrenz zu dem iranischen Revolutionsführer.

Die Hisbollah ist ein ernst zu nehmender militärischer Gegner Israels, zumindest gewesen, und sie haben sich dann auch zur Aufgabe gemacht, sich mit den Palästinensern zu solidarisieren. Nach dem 7. Oktober hat die Hisbollah dann auch begonnen, vom Südlibanon aus Nordisrael zu beschießen, als Reaktion darauf wiederum haben dann die Israelis großflächige Angriffe geflogen auf die Stellungen der Hisbollah und haben unter anderem auch die ganze Führungsebene der Hisbollah quasi getötet.

Jetzt ist die Hisbollah geschwächt, und das Ziel der amerikanischen Einwirkung auf den Libanon ist es, dass die Hisbollah entwaffnet werden möge. Das ist aber ein unmögliches Unterfangen für die sehr schwache libanesische Regierung. Dazu hat sie weder die Waffen noch die Möglichkeiten. Die israelische Seite hat den Waffenstillstand, den es mit dem Libanon seit November letzten Jahres gibt, stetig gebrochen. Gegenwärtig fliegt die israelische Luftwaffe täglich, kann man sagen, Angriffe im Süden des Libanons, vor allem auf schiitische Gebiete, immer mit dem Argument, es gelte, terroristische Infrastruktur zu zerstören. Aber aus israelischer Sicht ist im Prinzip fast schon jeder Schiit ein potenzieller Hisbollah-Unterstützer und infolgedessen auch zum Abschuss freigegeben.

Das Ganze geht einher mit der Verheerung der libanesischen Landwirtschaft. Es ist ein Problem, dass hier nicht wahrgenommen wird. Die Israelis haben großflächig die Landwirtschaft im Süden des Libanon zerstört, insbesondere durch das Setzen großer Brände, die immens viele Olivenhaine beispielsweise zerstört haben und die Wasserversorgung im Süden des Libanon massiv gefährden.

Der Libanon ist also ein sehr fragiler Staat und verfügt über nur eine schwache Armee. Diese Armee ist auch deswegen schwach, weil die USA und die vermeintliche Schutzmacht Frankreich, die beide ja angeblich den Libanon schützen wollen, dem Libanon keine schweren Waffen liefern, weil sie fürchten, dass diese dann gegen Israel eingesetzt werden könnten. Insofern ist also der Libanon, und das ist ja durchaus interessant, nicht in der Lage, sich militärisch zu verteidigen. Die Zukunft des Libanon ist außerordentlich prekär.

Die Verarmungsrate ist sehr hoch. Die Hälfte der Bevölkerung lebt unterhalb oder am Rande der Armutsgrenze. Die Mittelschicht ist komplett verarmt aufgrund des Umstandes, dass die völlig sklerotische politische Klasse im Libanon, die seit Jahrzehnten die Macht innehat, ein Netzwerk aus verschiedenen Clans, die über die konfessionellen Grenzen hinweg sozusagen Poker gespielt, Roulette gespielt haben mit den Bankeinlagen der libanesischen Kunden, sodass all diejenigen, die ihr Geld in libanesischen Banken angelegt hatten, vor zwei, drei Jahren vollständig enteignet worden sind, einfach weil kein Geld mehr da war.

Das ist ein schwerer Schlag gewesen für die Mittelschichten im Libanon und übrigens auch für die in Syrien, denn zur Zeit der Assad-Herrschaft haben viele Syrer, die über Geld verfügten, selbiges im Libanon angelegt. Alles perdu, alles verloren. Das ist wirklich tragisch für die Menschen, und die Zukunft des Libanon bleibt ungewiss. Es ist eine sehr fragile Situation und nur schwer möglich, diesen Staat auf Dauer zusammenzuhalten.

Ich erinnere mich an ein Gespräch, das ich hatte mit einem Hisbollah-Kämpfer im Süden des Libanon. Ich habe ihn gefragt, warum er sich der Hisbollah angeschlossen hat. Er sagte: ‚Es war ganz einfach. Die Israelis haben zwölf Familienmitglieder und Freunde von mir ermordet, mein Dorf zerstört, und dann bin ich in die Berge gegangen, bin an einer Waffe ausgebildet worden.‘ Er hat betont, dass er kein Antisemit sei, dass Juden in Frieden auch im Nahen Osten leben können sollten, aber dass Israel nicht bereit sei zum Frieden, und er würde auch zur Verteidigung des Libanon kämpfen und nicht des Iran, obwohl er dankbar sei für die Unterstützung des Iran.

Kommen wir zu Syrien. Syrien hat eine neue Regierung seit einigen Monaten, und das hat auch sehr viel zu tun mit der Feindschaft gegenüber dem Iran und den Stellvertreterkriegen im Nahen Osten. Israel hat sowohl vor dem Regierungswechsel, also unter dem Assad-Regime, regelmäßig Syrien bombardiert und hat es auch hinterher getan, und sogar noch mehr. Können Sie das ein bisschen erläutern? Was hat Syrien mit alldem zu tun? Was ist von der neuen Regierung zu halten?

Es gab einen Bürgerkrieg in Syrien seit 2011, und das alles unter der Herrschaft von Baschar al-Assad, und natürlich war das alles ein furchtbares Regime, gar keine Frage. Aber der völlig überraschende Sturz von Baschar al-Assad, der die meisten überrascht hat im Dezember des vorigen Jahres, war nichts Spontanes, sondern es war von langer Hand vorbereitet, vor allem durch die vollständige Unterminierung der syrischen Wirtschaft. Die Details will ich jetzt hier nicht darlegen, das kann man nachlesen in meinem Buch.

Interessant ist aber, dass die USA und andere, darunter die Türkei und die arabischen Golfstaaten, auch die härtesten Dschihadisten unterstützt hatten, um das politische System von Baschar al-Assad zu stürzen, zu sprengen. Das ist dann ja am Ende auch gelungen, und es ist wirklich nicht frei von böser Ironie, dass die Amerikaner ganz gezielt Al-Qaida, also jene Leute, die für 9/11 in den USA verantwortlich sind, unterstützt haben, um ein Gegengewicht zur Diktatur von Assad aufzubauen mit dem Ziel, einen politischen Wandel dort herbeizuführen.

Uns wurde in der hiesigen Öffentlichkeit natürlich das alles anders erzählt. Da hat man dann gesprochen etwa von der Freien Syrischen Armee, die für die Freiheit kämpfe, Zivilgesellschaft müsse man stärken usw. Aber das ist alles Schall und Rauch. Das sind Bemühungen gewesen, die nur über ungenügenden Rückhalt in der Bevölkerung verfügt haben, und die verschiedenen Milizen konnten sich am Ende nicht durchsetzen.

Aber Al-Qaida – und auch der neue Machthaber in Syrien, al-Scharaa, kommt aus diesem Umfeld. Er saß selbst im Irak lange Jahre im Gefängnis und war den Amerikanern bestens bekannt, und irgendwann ist er dann zurückgekehrt nach Syrien. Ich stelle die Frage, ob das sozusagen rein eigeninitiativ war oder ob man da Absprachen getroffen hat. Wir wissen das natürlich nicht, aber auf jeden Fall wird al-Scharaa seit Jahren von den USA unterstützt, konnte sich dann im Norden Syriens durchsetzen. Natürlich hat man Al-Qaida dann umbenannt in die Bewegung zur Befreiung der Levante, und der Chef dieser ganzen Organisation, gemeinhin Terrororganisationen nach den sonstigen Maßstäben westlichen Urteilens, der konnte sich dann sukzessive durchsetzen aufgrund massiver Waffenlieferungen und finanzieller Unterstützung.

Im Nordwesten Syriens gab es eine Region, Idlib. Das war die Einzige, die von den Rebellen gehalten wurde, und von dort aus haben sie dann ihren Siegeszug letztes Jahr angetreten. Am Ende ist dieses ganze überkommene System von Baschar al-Assad in sich kollabiert, maßgeblich deswegen, weil einfache syrische Soldaten keine Lust hatten, für 13, 14, 15 Dollar Monatslohn ihr Leben zu riskieren. Somit konnten dann die Dschihadisten die Macht übernehmen in Syrien, 15 bis 20.000 Mann, darunter ein Drittel ausländischer Kämpfer. Viele von ihnen sind Uiguren aus der entsprechenden Region in China.

Ja, sie sind jetzt die neuen Machthaber. Sie werden unterstützt insbesondere von den USA. Natürlich war Donald Trump im Mai in Katar, und dann kam auch al-Scharaa, und man reichte einander die Hand, und Trump erklärte al-Scharaa zu einem „really great guy“, er sei ein großartiger Kerl usw. Das Problem für ihn, al-Scharaa, ist jetzt nur – egal, was man von ihm hält und seinem neuen System, das in der Sache jetzt auch nicht viel besser ist als das, was man vorher hatte, aber es ist vielleicht nicht ganz so brutal, darüber kann man sich jetzt streiten. Auf jeden Fall muss man sagen, dass al-Scharaa es nicht schaffen wird, Syrien zusammenzuhalten, weil insbesondere Israel Interesse daran hat, dieses Land zu zerschlagen, um auf diese Art und Weise Einfluss zu nehmen in der Region.

Die Israelis streben an, einen Korridor zu errichten von den Golanhöhen in Richtung Südsyrien entlang der irakischen Grenze bis in die kurdischen Gebiete von Syrien mit dem Ziel, diese Kurden dann zu unterstützen und den eigenen Einfluss auszudehnen. Die hinlänglich bekannten rechtsextremen Minister in Israel sagen auch klipp und klar, dass Syrien als Zentralstaat gar keine Existenzberechtigung habe.

Aus israelischer Sicht ist Syrien eine Beute. Man hat weiterhin Territorium besetzt. Nach dem Sturz von Assad, allein in den zwei Tagen danach – am achten wurde er gestürzt, Baschar al-Assad, am 8. Dezember vorigen Jahres – und allein innerhalb von 48 Stunden bis zum Zehnten hat die israelische Luftwaffe in der größten Angriffswelle seit Bestehen des Staates Israel quasi 80 Prozent der militärischen Infrastruktur Syriens zerstört; offiziell natürlich, um den Terror zu bekämpfen usw. Aber es ist schon bemerkenswert, dass solche Ereignisse, mal eben so 80 Prozent der militärischen Infrastruktur zu zerstören eines Nachbarlandes, dass das alles so durchgeht. Das ist völlig okay.

Das kommt überhaupt nicht an in den westlichen Medien, was Sie gerade gesagt haben.

Nein, überhaupt nicht. Es wird nicht thematisiert beziehungsweise es fällt alles in die Rubrik Terrorbekämpfung– immer Terrorbekämpfung. Die Vorstellung, dass viele dieser Bewegungen, ob wir die jetzt mögen oder nicht – das gilt für die Hamas, das gilt für die Hisbollah, das gilt für die Huthi –, das sind ja Bewegungen, die letztendlich entstanden sind aufgrund westlicher Interventionen. Die Huthi, es ist ein bisschen komplexer. Die Saudis hatten einen Freibrief bekommen von Obama im Jahr 2015, gewissermaßen als Trostpreis für das Atomabkommen mit dem Iran, was die Saudis überhaupt nicht mochten, weil ja der Iran damals der große Gegner Saudi-Arabiens war. Heute ist das alles ein bisschen anders.

Dann hat Saudi-Arabien – das war der größte Fehler des noch jungen Kronprinzen Mohammed bin Salman – eben den Jemen angegriffen, hat dadurch die Huthi erst so richtig stark gemacht. Das war ein riesiger Fehler. Der zweite große Fehler war die Ermordung des oppositionellen Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul – also eine furchtbare Situation.

Wir verstehen aber nicht, dass das die Reaktion ist auf Interventionen. Natürlich Hamas und Hisbollah – kann man kaum sagen in Deutschland, aber es sind, so sehen Sie sich selbst, so sehen es ihre Anhänger –, es sind nationale Widerstandsorganisationen. Um das auch noch mal klar und deutlich zu sagen, auch in der deutschen Öffentlichkeit: Wenn die Hamas im Gazastreifen israelische Soldaten angreift, ist das nicht ein Akt des Terrorismus, sondern ein Akt des legitimen Widerstandes gegen eine Besatzungsmacht. Das mag man hier aber nicht so hören, aber im Grunde genommen, da müsste man gemäß dieser Logik eigentlich auch, sagen wir mal, überlegen, ob man die Hamas nicht doch auch anders einordnen kann als reine Terrororganisation, die sie in Teilen natürlich ist. Selbstverständlich, das Unrecht des 7. Oktober 2023 bestand darin, dass die Hamas unbeteiligte Zivilisten getötet und zu Geiseln genommen hat. Das ist ein Unrecht. Das ist ein Kriegsverbrechen.

Ja. Die Hamas und die Hisbollah haben zwar ein Recht auf Selbstverteidigung, also vor allem die Palästinenser, aber Sie machen ganz klar, dass Angriffe auf Zivilisten grundsätzlich gegen Völkerrecht verstoßen und alle möglichen anderen Konventionen.

So ist es, und wir nehmen das natürlich bei der Hamas sehr viel sensibler wahr als umgekehrt. Ich meine, die Israelis greifen auch ständig palästinensische Zivilisten an. Aber auch das fällt überwiegend in die Kategorie Terrorbekämpfung, jedenfalls in Deutschland. In anderen Ländern gibt es jetzt auch das Wissen, dass das, was Israel dort angerichtet hat und noch immer anrichtet im Gazastreifen, aber eben auch im Westjordanland, ein durchgehender Verstoß gegen alle internationalen Rechtsnormen ist, bis hin zum Vorwurf des Genozides.

Aber seit diesem Friedensschluss, dem vermeintlichen, dem Friedensplan von Donald Trump, scheint es so zu sein, dass viele in Deutschland glauben: Ja, der Krieg ist vorbei, jetzt können wir weitermachen wie bisher. Friedrich Merz sagte ja auch schon, dann können wir jetzt die Waffenlieferungen wieder aufnehmen, und außerdem haben die Palästinenser jetzt keinen Grund mehr zu demonstrieren, als sei die Unterdrückung der Palästinenser jetzt Vergangenheit. Das ist aber nicht der Fall, auch im Westjordanland. Da gehen Siedler mit Äxten und Messern bewaffnet auf Zivilisten vor, vertreiben sie, jagen sie, zerstören deren Häuser, rauben deren Land.

Also es macht einen durchaus fassungslos, dass das alles so durchgeht und in den hiesigen Medien ja auch nicht groß beleuchtet wird. Es wird erwähnt, so ist es nicht, aber es wird eben erwähnt. Es wird beileibe nicht so emotionalisiert wie das Leid auf israelischer Seite in den Familien der Geiseln oder das Leid der Zivilisten in der Ukraine. Da gibt es also ein ganz klares Ranking, und da haben die Palästinenser halt sozusagen in Deutschland sehr schlechte Karten.

Zum Jemen und den Huthi. Die werden auch dargestellt als Marionetten des Iran. Ich glaube, dass es hier noch weniger richtig ist; also, dass der Einfluss des Iran im Jemen noch geringer ist als im Libanon. Das ist mein Eindruck des Wissensstands. Aber sehr wichtig ist auch, dass der Krieg, den Sie erwähnt haben, von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten mit voller Unterstützung der USA, Frankreich, Großbritannien und Australien – dieser Krieg wurde auch von sehr seriösen Beobachtern als genozidal eingestuft, weil die Saudis ganz systematisch auch, ganz ähnlich wie Israel im Gazastreifen, die ganzen Lebensgrundlagen zerstört haben, eine Totalblockade verhängt haben, was zur damals größten humanitären Katastrophe auf dem Planeten geführt hat, mit vielen Millionen Menschen, die gehungert haben, allen möglichen Krankheitswellen ausgesetzt waren.

Ein gern vergessenes Verbrechen des Westens. Deutschland hat das am Anfang auch unterstützt und sich dann zurückgezogen, Gott sei Dank. Können Sie darauf noch ein bisschen eingehen, auf den Jemen?

Das sind schon autochthone, einheimische Bewegungen, die in der eigenen Gesellschaft gewachsen sind. Diese Huthi, die benannt sind nach ihrem Begründer und Anführer – dabei handelt es sich um eine religiöse Minderheit, der Zaiditen, die zum schiitischen Islam rechnen und die eigentlich über 1.000 Jahre bis 1962 die Macht ausgeübt hatten im nördlichen Jemen. Dann wurden sie durch eine damals von Ägypten unterstützte Revolution gestürzt. Seither gab es dann eine nationalistische Regierung über Jahrzehnte hinweg, geführt durch den Herrscher Ali Abdullah Saleh, der dann nach 2011, nach der arabischen Revolte in Sanaa, erschossen wurde.

Ali Abdullah Saleh wurde auch vom Westen unterstützt?

So ist es. Er wurde massiv vom Westen unterstützt und hatte auch die modernsten amerikanischen und westlichen Waffen geliefert bekommen. Dann wurde er umgebracht, und ja, die Huthi übernahmen die Macht. Also die ehemaligen Zaiditen, also diejenigen, die damals über 1.000 Jahre hinweg die Macht ausübten im Jemen, haben jetzt faktisch wieder die Macht im Norden des Jemen errungen. Sie sind die eigentlichen Herrscher im nördlichen Teil des Jemen.

Aber Saudi-Arabien und die westlichen Staaten unterstützen allein eine Regierung, die vom Westen international und über den Westen hinaus als legitime Regierung anerkannt wird. Aber diese Regierung existiert eigentlich nur auf dem Papier. Ihre Minister in Anführungsstrichen leben überwiegend in Saudi-Arabien. Sie haben nur noch ein Büro. Die Stadt Aden ist unter der Kontrolle sezessionistischer Kräfte, die vom Südjemen aus einen eigenen Staat errichten wollen. Dort haben Milizen das Sagen, die von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstützt werden.

Der Jemen ist also ein, man kann sagen, ein unbefriedetes Land, ein Pulverfass. Die Huthi sind ein Phänomen, weil es sind auf der einen Seite Sandalenkrieger, und auf der anderen Seite kennen sie sich aber bestens aus mit den sozialen Medien. Sie sind also wirklich sehr gut darin, medial wirksame Propaganda zu machen, sind wirklich nicht zu unterschätzen. Also gegen die Huthi Krieg zu führen, das ist so, als wollte man ein weiteres Mal Kämpfer wie jene der Taliban besiegen, was ja in Afghanistan nach 20 Jahren Krieg missglückt ist.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Huthi dann ja angefangen haben nach dem 7. Oktober 2023, Schiffe zu beschießen, die israelische Hafenstädte anlaufen, also konkret Eilat. Der Hafen Eilat ist ja durch diese Angriffe auch komplett schachmatt gesetzt worden. Da fahren keine Schiffe mehr hin, weil keine Versicherungsgesellschaft Schiffe versichert auf dem Weg dorthin, nachdem die Huthi immer wieder Schiffe angegriffen haben. Die USA haben dann mit den Huthi einen separaten Deal gemacht: US-Schiffe werden nicht mehr angegriffen, aber die anderen schon, sofern sie entweder in Richtung Israel fahren oder aber sich in israelischem Teilbesitz befinden.

Das ist so ein bisschen die Gefechtslage. Die Huthi haben dann aus Solidarität, wie sie es sehen, mit den Palästinensern im Gazastreifen wiederholt Israel beschossen mit Raketen, was immerhin für diese Leute, die man sich wirklich sehr schlecht ausgestattet vorstellen muss, schon eine enorme, in Anführungsstrichen, Leistung ist. Israel hat darauf reagiert mit massiven Bombardements, einschließlich der Liquidierung der Hälfte der Huthi-Regierung.

Das ist eine Marginalie in der Konfliktregion insgesamt, aber die Huthi haben klargemacht, dass man auch als Stammesmiliz den internationalen Schiffsverkehr durch den Suezkanal massiv schädigen kann. Sollte es zu einem Krieg kommen gegen den Iran, dann wird das Ganze noch ungemütlicher, weil dann wird die Versorgung der Welt mit Erdöl und Erdgas aus der Region des Nahen und Mittleren Ostens weitgehend zum Erliegen kommen.

Das ist etwas, was hiesige Entscheider absolut unterschätzen, gerade die Deutschen, die deutsche Politik, die ja ohnehin Schwierigkeiten hat, in der Wirklichkeit zu lesen und sich nicht allein von Ideologie leiten zu lassen. Wir haben keine billige Energie aus Russland mehr aus den bekannten Gründen, haben uns stark abhängig gemacht von den USA. Wenn jetzt also dieser Fluss von Erdgas und Erdöl aus dem Nahen Osten ebenfalls unterbleibt durch einen weiteren Angriff auf den Iran, dann werden Energiepreise durch die Decke gehen, und dann hat Deutschland ein wirkliches, ein sehr ernst zu nehmendes Problem, weil wir so abhängig sind von US-amerikanischen Energielieferungen, nicht nur wir, die EU insgesamt, dass man sich aller Handelsoptionen beraubt hat.

Das ist ein Nebeneffekt dieser ganzen Konfrontation, die letztendlich darauf zurückführt, dass es zwei hegemoniale Mächte gibt, die USA und Israel, die beide die Vormachtstellung in der Region für sich beanspruchen. Es gibt allerdings zunehmend Risse in diesem imperialen Geflecht. Vor allem stört es die Amerikaner, dass die Israelis mehr und mehr auch eine Konkurrenz darstellen zu den arabischen Golfstaaten, mit denen aber gerade Donald Trump die allerbesten Geschäfte unterhält. Das war auch der Grund für die Ermordung der Hamas-Führer in Katar durch die Israelis im vergangenen Sommer – der große Fehler. Hätte Netanjahu diesen Fehler nicht begangen, hätte er weiterhin den Libanon bombardiert, Syrien, Irak, Iran – alles okay –, aber nicht die Golfstaaten. Da hat er sozusagen sich verkalkuliert. Man muss sehen, ob die Amerikaner jetzt Netanjahu einfangen werden oder ob das jetzt nur eine Zwischenphase ist der Befriedung und nach zwei, drei Monaten geht der Krieg in der Region dann weiter, sowohl im Gazastreifen wie auch perspektivisch gegen den Iran.

Was Ihr Buch zeigt, ist, dass die Konflikte im Nahen Osten alle sehr stark zusammenhängen und sich sehr viel aus dieser Stellvertreterlogik ergibt, nicht nur der Westen gegenüber dem Iran und seinen Verbündeten, sondern auch – das darf man nicht vergessen – den arabischen Staaten und den sunnitischen Kräften mit den schiitischen Kräften. Da bekommt es teilweise schon so eine sektiererische, religiöse Dimension, aber auch nicht unbedingt. Das sind halt die Konfliktlinien dort.

Das ist deswegen auch sehr beängstigend, weil, wenn es zum – wenn es wieder zum Krieg kommen sollte mit dem Iran, und der letzte Krieg dauerte ja nur zwölf Tage – also wenn es zu einem wirklich ernsten Krieg kommen würde mit dem Ziel Israels und der USA, das Atomwaffenprogramm des Iran eindeutig zu zerstören, dann könnte es – das zeigt Ihr Buch auch – zu einem großen Flächenbrand kommen, weil überall diese verschiedenen Bündnisse sind in den verschiedenen Ländern und auch, weil es zum Stellvertreterkrieg werden könnte zwischen dem Westen und Russland und China, die ja mit dem Iran verbündet sind. Was wäre so das Worst-Case-Szenario hier, und wie realistisch ist das?

Ja, also, nichts ist schwieriger als Prognosen, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen, wusste schon Mark Twain. Also, wir wissen natürlich nicht, wie es weitergeht im Nahen Osten. Es ist eine extrem fragile, brüchige Situation, und es kann alles passieren.

Nun ist aber Donald Trump jemand, der aus überwiegend geschäftlichen Gründen – also, ich sag mal so, die Oligarchie in den USA, die eigentlichen Machthaber, die Milliardärskaste, sie hat offenbar erkannt, dass durch diese Kriegsführung in der Ukraine und im Nahen Osten ihre eigenen Interessen geschädigt werden, auch die geostrategischen Interessen der USA insgesamt, weil der Gegner China ist und nicht so sehr Russland aus amerikanischer Sicht. Man sieht dort in der Trump-Administration die zunehmende Nähe zwischen Russland und China mit großer Sorge.

Unsere Politiker sehen, glaube ich, wenig mit großer Sorge. Man glaubt, durch Waffenlieferungen die Konflikte, die beiden großen Konflikte unserer Zeit, lösen zu können, in der Ukraine wie auch im Nahen Osten. Das ist eine Fehleinschätzung. Letztendlich werden die Europäer wenig bis gar nichts dazu beitragen, dass es zu einer Befriedung kommt, wenn es denn dazu kommt, weder in der Ukraine noch im Nahen Osten.

Deutschland und die EU machen sich entbehrlich auf der internationalen Bühne. Keiner nimmt uns noch ernst. Wenn Sie als Deutscher heute durch die Gegend reisen im Nahen Osten, in der arabisch-islamischen Welt, im Globalen Süden, dann begegnet einem oft genug wirklich Verachtung für die deutsche Haltung in diesem Krieg Israels gegen die Bevölkerung im Gazastreifen.

Aber wie gesagt, das alles sind Einsichten, die sickern unter den hiesigen Entscheidungsträgern erst ganz allmählich ein, und wahrscheinlich werden sie die tiefer liegenden Zusammenhänge erst wirklich selbst emotional auch erfassen, wenn es zu spät sein dürfte.

Letztendlich leben wir in einer Zeit, in der wir nicht den Fehler machen dürfen, unsere Entscheider einfach allein agieren zu lassen. Wir müssen selbst das Heft des Handelns in die Hand nehmen. Es gibt ja bereits Demonstrationen im Kontext der Friedensbewegung – im September, im Oktober. Diese sind noch zu klein, aber wir haben gesehen, wie in den USA die Trump-kritische Bewegung eine Million Menschen auf die Straße gebracht hat, weil immer mehr Amerikaner befürchten, dass es dort in eine ungute Richtung geht. Die Verhältnisse in den USA sind zwar noch viel brachialer als bei uns, vor allem die sozialen Gegensätze, aber auch bei uns nehmen diese mehr und mehr zu.

Ich denke, wir erleben vielleicht gerade die Ruhe vor dem Sturm. Sobald breitere Teile der Bevölkerung verstehen und in ihrem eigenen Portemonnaie spüren, was es bedeutet, den Sozialstaat „abzuschaffen“ und stattdessen auf Kriegstüchtigkeit zu setzen, wird es für die Regierung zunehmend schwierig werden, diesen Kurs durchzuhalten. Der Krieg in der Ukraine wird im Zweifel durch Donald Trump und seine Vermittlung beendet werden – die Europäer haben nichts dazu beigetragen, diesen Krieg zu beenden. Dasselbe gilt für den Nahen Osten, wo die Staatsräson der deutschen Politik immer wieder zu Fehlentwicklungen führt. Natürlich ist es richtig, sich mit Israel solidarisch zu erklären – aber bitte in den Grenzen des 4. Juni 1967, also vor der Besetzung der palästinensischen Gebiete und der syrischen Golanhöhen. Diese Differenzierung wird bei uns nicht gemacht.

Wir dürfen nicht den Fehler machen, der Politik in diesem Land jede Dummheit durchgehen zu lassen, ohne als Teil der Bevölkerung unsere Stimme zu erheben. Ein Anfang ist gemacht, aber es gibt noch viel mehr zu tun. Es sind schwierige Zeiten – hoffen wir, dass im falschen Moment nicht die falsche Person auf den falschen Knopf drückt.

Ich höre das als einen Appell zu friedlichem Widerstand und zu einer großen Friedensbewegung. Das ist ein schönes Schlusswort.

Vielen Dank – und herzliche Grüße an die Leserinnen und Leser der NachDenkSeiten. „Drecksarbeit“ ist ein Buch, das mich bei der Recherche selbst oft fassungslos gemacht hat – vor allem die Verästelungen, die ganzen Schweinereien der Trump‘schen Familiendynastie und ihrer Verbindungen zu Leuten wie Tony Blair, einem der Architekten des Irak-Krieges, die gemeinsam an der „Gaza Riviera“ gearbeitet haben und übrigens noch immer daran arbeiten. Während der Recherche habe ich mir oft gedacht: Das kann doch nicht wahr sein – aber leider ist es wahr. Das Buch liest sich wie ein Thriller.

Leider zeigt sich, dass westliche Politik zwar den Anspruch erhebt, werteorientiert zu sein, aber wer das wirklich glaubt, ist sehr gutgläubig – vielleicht dem Weihnachtsmann näher, als ihm lieb sein mag. Es ist äußerst brutal, wie auf internationaler Ebene Einfluss ausgeübt wird und wie Geschäfte gemacht werden. Damit wir uns nicht weiter verdummen lassen, helfen die NachDenkSeiten – und auch mein Buch „Drecksarbeit“.

Definitiv. Ich muss sagen, Ihnen ist ein weiteres Meisterstück gelungen. In dem Buch findet man die Belege für all das, was Sie heute ausgeführt haben. Ich danke Ihnen für das Buch – ich kann es sehr empfehlen – und ich danke Ihnen für dieses spannende Gespräch.

Vielen Dank.


Michael Lüders: Drecksarbeit? Israel, Amerika und der imperiale Größenwahn im Nahen Osten. München 2025, Goldmann Verlag, gebundene Ausgabe, 240 Seiten, ISBN 978-3442302505, 22 Euro.

Titelbild: NachDenkSeiten